Vom Weltmeister in Sachen Flächenversiegelung zum meisterlichen Flächen-Recycling und Verdichten

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Flächen zu versiegeln ist kein Kavaliersdelikt mehr. Der sorgsame Umgang mit der Ressource Boden ist ein wesentlicher Aspekt im Kampf gegen den Klimawandel und wenn es darum geht, Lebensqualität zu sichern. EU-Taxonomie und Bauordnung sind regulative Ansätze, die jedoch noch zu wenig weit gehen. Arne M. Ragossnig von den Umweltkonsulenten hat in diversen Rückbau-, Verdichtungs- und Flächen-Recycling-Projekten Erfahrungen gesammelt. Wo liegen dabei die Herausforderungen? Wie sieht der rechtliche Rahmen aus? Und wie wickelt man solche Projekte erfolgreich ab?

Ghezzo: Österreich ist ja Weltmeister in Sachen Flächenversiegelung. Von 16 Fußballfeldern täglich ist da die Rede. Wo ist das Potenzial, dies zu vermeiden und trotzdem den Bedarf der Menschen nach Wohnen, Arbeiten und Einkaufen zu decken?

Ragossnig: Es wäre wichtig, bestehende Bauplätze – insbesondere im städtischen Bereich – als wertvolle Ressource und als Bauplätze erster Wahl zu erkennen und zu nutzen. Dies bietet nicht nur den Vorteil, dass es hier zu keinem neuen Flächenverbrauch kommt, sondern ermöglicht auch eine Reduktion der infrastrukturellen Kosten, verkürzt die Wege usw. Es ist schon klar, dass es komplexer und ggf. auch risikobehafteter ist ein Bauvorhaben nicht auf der grünen Wiese sondern auf einem vormals bereits genutzten Bauplatz zu realisieren, aber wenn man den Planungsprozess passend aufstellt und die Hausaufgaben in der Projektentwicklung früh genug erledigt, lassen sich Komplexität, Kostenrisiken, und auch die Zeitschiene gut kontrollieren und in den Griff bekommen.

Ghezzo: Passen die rechtlichen Rahmenbedingungen? Warum ist dies so noch erlaubt?

Ragossnig: Meiner Ansicht nach müsste da auch regulatorisch nachgeschärft werden. Solange das Bauen auf die grüne Wiese leicht genug möglich ist, wird es aus vielen Gründen die präferierte Variante bleiben. Geringeres Baugrundrisiko, bessere Planbarkeit, die Möglichkeit der Anwendung von Copy-Paste- Prozessen usw. sind nur einige Argumente, die dafür sprechen. Umgekehrt belasten die Kosten für den Bodenverbrauch, die Versiegelung und der zusätzlich erforderlichen Infrastruktur (Aufschließungskosten, … ) den öffentlichen Haushalt und damit uns alle als Steuerzahler. Die Einsparungen für das Bauen auf der grünen Wiese liegen somit beim Bauherrn und die dadurch getriggerten Mehrkosten bei der Allgemeinheit. Da muss sich etwas ändern um zu einem gesellschaftlichen Optimum zu kommen.

Das Problem ist vielfach schon erkannt, die Lösungen hinken hier aber noch hinterher. Auf Europäischer Ebene ist hier z.B. auch eine EU-Bodenstrategie für 2030 sowie ein Bodengesundheitsgesetz in Vorbereitung und soll dazu führen, dass die wertvolle Ressource Boden erhalten und gestärkt wird.

Ghezzo: Wo wir nicht Weltmeister sind, ist die Sanierung. Wird EU-Taxonomie und die ESG Thematik daran etwas nachhaltig ändern?

Ragossnig: Die EU-Taxonomie soll dazu führen, dass private Kapitalströme in Richtung nachhaltiger Investments gelenkt werden. Dabei stehen sechs Umweltziele im Vordergrund. Darunter sind auch der Schutz der Biodiversität und von Ökosystemen sowie die Kreislaufwirtschaft. Alleine diese beiden genannten Ziele zeigen schon, dass hier ein Druck in Richtung der Nutzung bereits genutzter Bauobjekte bzw. Bauplätze geht. Ich würde hier stark davon ausgehen, dass auch der Immobiliensektor hier Betroffener sein wird und die Sanierung von bestehenden Bauobjekten ist natürlich im Sinne der Umweltziele, wie sie auch in der EU-Taxonomie klar angeführt werden, die präferierte und umweltschonendste Maßnahme. Planungen im Bestand / Sanierungen sind zwar komplizierter, machen aber jedenfalls Sinn.

Ghezzo: Was versteht man eigentlich unter Flächen-Recycling? Was sind die Ziele, Methoden und Herausforderungen?

Ragossnig: Unter Flächenrecycling versteht man die Nutzung bereits vormals gewerblich / industriell genutzter Grundstücke, die ihre bisherige Funktion und Nutzung verloren haben, für immobilienwirtschaftliche Projekte. Wesentlich dabei ist, dass bereits infrastrukturell angebundene Bauplätze damit eine weitere Nutzung erfahren und nicht als Brachflächen in Zentrum-nahen Lagen veröden. Die Herausforderung besteht in der komplexeren Planung aufgrund der Schnittstellen, der Notwendigkeit der Adressierung des Baugrundrisikos und der Notwendigkeit individueller standortangepasster Lösungen im Gegensatz zu copy-paste-Lösungen.

Ghezzo: Assetmanager konzentrieren sich stark auf das Thema Verdichtung, Sanierung usw. Welche Tipps geben Sie hier auf den Weg mit?

Ragossnig: Vorweg ist jedem Assetmanager, der das Thema erkannt hat, einmal zu gratulieren. Das ist der richtige Weg. Was ich aber jedenfalls mitgeben möchte ist, dass vor Ankauf bzw. vor der Planung eine detaillierte Prüfung von Bestandsobjekten im Sinne verbauter Schadstoffe und Störstoffe erfolgen sollte, da dies ggf. zu erheblichen Kostenrisiken führen kann und jedenfalls für die Planung der Sanierung aus Gründen des Bauablaufs, Arbeitnehmer- und Anrainer- sowie Nutzerschutz jedenfalls erforderlich ist. Abfall- und Umweltrecht können einen erheblichen Einfluss auf den Bauablauf haben, Planerinnen und Architekten sind sich dessen oft noch nicht ausreichend bewusst.

Ghezzo: Wo lauern typischerweise Fallen und Hürden bei Projekten?

Ragossnig: Einsparungen in der Planungsphase und bei gutachterliche Leistungen in der frühen Phase eines Projektes rächen sich dann, wenn es wirklich weh tut, nämlich zu dem Zeitpunkt, wo nicht mehr oder nur mehr extrem schwer darauf reagiert werden kann.

Ghezzo: Was sind Wünsche an nachhaltige Projektentwickler?

Ragossnig: Voraussicht und frühzeitige Planung im Sinne eines erfolgreichen Gesamtprojektes aus Sicht des Projektentwicklers und der Gesellschaft. Projektentwickler sollten hier auf den Planer / Architekten ihres Vertrauens einwirken, frühzeitig auch die erforderliche Fachplaner und Gutachter in die Bauprojekte zu involvieren, damit geeignete Lösungen unter Beachtung des für Architekten leider noch nicht so präsenten rechtlichen und normativen Rahmens aus dem Abfall- und Umweltrecht entstehen.

Rückbau eines Zementwerks

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