Städtebauliche Verträge und die Novelle der Bauordnung in Wien – Teil I

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Evelyn Susanne Ernst-Kirchmayr beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Spannungsfeld Raumplanung-Immobilienprojektentwicklung und hat sich mit ...

... Evelyn Susanne Ernst-Kirchmayr beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Spannungsfeld Raumplanung-Immobilienprojektentwicklung und hat sich mit ihrem Unternehmen DIe ERNST auf die Wechselwirkungen mit Planungsrechten und Vertragsrecht spezialisiert Wenn es also um städtebauliche Verträge geht wartet sie mit unglaublichem Fachwissen auf Um dazu etwas mehr auch im Hinblick auf die kommende Novelle der Wiener Bauordnung zu erfahren habe ich Evelyn Susanne Ernst-Kirchmayr interviewt und dabei spannende Insights bekommen Im ersten Teil des Gesprächs ging es um den Status quo bei städtebaulichen Verträgen

Ghezzo: Städtebauliche Verträge sollen ja Bauträgen, Developern und Investoren den Vorteil der Rechtssicherheit verschaffen. Mission accomplished?

Ernst-Kirchmayr: Aus Sicht der Bauträger, Developer, Investoren aber auch von Liegenschaftsschätzern oder Grundstückseigentümern würde ich den Status der Rechtssicherheit von Städtebaulichen Verträgen in Wien eher als „mission under construction“ bezeichnen, oder vielleicht als „mission statement“ im Sinne einer Grundsatzerklärung.

Wenn wir in Diskussionen dieses Instrument der privatrechtlichen Verträge als jung bezeichnen, ernten wir mittlerweile zunehmend Unverständnis, dass diese „mission noch nicht accomplished“ ist, denn diese sind in Wien doch schon „Gesetz“ seit der Wiener Bauordnungsnovelle 2014, als Maßnahmen der Gemeinden als Trägerin von Privatrechten übrigens, denn die Bezeichnung Städtebauliche Verträge ist im Gesetzestext nicht zu finden. Das ist wie bei der Suche nach 16-er Blech, das sie auch nur unter Bier finden werden, ohne hier für eine Marke Werbung zu betreiben, als Nichtbiertrinkerin noch dazu.

Die WBO-Novelle ist also im Juni junge 4 Jahre alt geworden – im Vergleich zur Entwicklung von Großprojekten der Immobilienbranche ein sehr kurzer Zeitrahmen, und erst recht für ein derart komplexes neues Instrument.

Bedenken Sie, dass neben dem öffentlichen Recht der Stadtplanung im weiteren Sinn, also der Wiener Bauordnung samt ALLEN projektbezogen relevanten Gesetzen und Normen, und neben den Erfordernissen der wirtschaftlich und marktgerechten Immobilienentwicklung in diesem Instrument „in einem Aufwischen“ nun eben neu auch noch die vielfältigen Möglichkeiten des Privatrechts ausgeschöpft werden sollen bzw. können.

Für städtebauliche Verträge, also die privatwirtschaftlichen Maßnahmen der Gemeinde, umfasst der § 1a WBO in der derzeitigen Fassung ½ – in Worten: eine halbe! – Seite Gesetzestext, that`s it.

Bislang haben wir keine Durchführungsverordnungen, Modelle, Musterverträge, um nur einige denkbare Möglichkeiten von Konkretisierungen anzudeuten – und dies im Zuge von Umwidmungen für Großprojekte, die nicht nur mit unterschiedlichster Projektcharakteristik für spezifische Standorte in mehrfachen Szenarien entwickelt werden, sondern die ihrerseits in den meisten Fällen die jeweiligen Standorte und Grätzel zukünftig auch wesentlich verändern werden.

Meine Antwort zum derzeitigen Stand der Rechtssicherheit von Städtebaulichen Verträgen für Antragsteller ebenso wie die verhandelnden Behörden bis hin zu den bereits ansässigen Bewohnern im Umfeld von zu verhandelnden Projekten ist also: „der Weg ist das Ziel“.

Aus der Entwicklerpraxis kann ich Ihnen berichten, dass einige (wenige) Verträge erstaunlich schnell und unaufgeregt abgeschlossen sowie mit der baulichen Realisierung relativ zügig begonnen werden kann/konnte, während sich andere Projektentwicklungen wiederum ziehen wie der berühmte Wiener Apfelstrudelteig – auch ein Zeichen, dass die Rechtssicherheit noch Entwicklungspotential hat, im doppelten Wortsinn für Immobilienentwicklungen.

Ghezzo: Gibt es schon erste Benchmarks und Richtwerte, was für eine Umwidmung durch Städtebauliche Verträge an zusätzlichem Aufwand zu erwarten ist?

Ernst-Kirchmayr: Kurze Antwort: Nein.

Ghezzo: Und was kann man aus den bisherigen Verträgen für Schlüsse ziehen?

Ernst-Kirchmayr: Wie schon zu Ihrer vorherigen Frage ausgeführt haben wir in Wien noch keine Konkretisierungen zum Instrument der Städtebaulichen Verträge gem. § 1a der WBO, weder Richtlinien noch Erläuterungsberichte, Durchführungsverordnungen, Modelle etc.

Zusätzlich sind diese als privatrechtliche Verträge auch nicht öffentlich, wiewohl sie im Rahmen von erforderlichen Beschlussfassungen im Gemeinderat doch irgendwie einem größeren Kreis bekannt gemacht werden müssen, auch da die Gemeinde ja Vertragspartner ist und es sich weitestgehend um Steuergelder handelt, die sich beispielsweise die Gemeinde durch infrastrukturelle Leistungen der privaten Projektpartner erspart.

Es zeugt jedoch von der hohen Ethik der bisher Beteiligten, dass der vertraglich vereinbarten Verschwiegenheit bisher entsprochen wurde, wobei in jüngeren Verträgen bereits Inhalte vereinbart werden, die von beiden Vertragspartnern veröffentlicht werden können – und die in Expertenkreisen bereits diskutiert werden, auch in unseren Forschungsauftrag einfliessen, doch dazu später.

Zuerst zu Ihrer Frage nach bekannten benchmarks respektive Richtwerten:

Quantitativ also i.S. von Relationen für Zusatzkosten à la €/m2 künftige Nutzfläche oder ähnliche monetäre Kennzahlen durch Städtebauliche Verträge sind bisher nicht veröffentlicht, ebenso weder Bandbreiten noch Maximalkosten oder Kenngrößen zur Angemessenheit.

Qualitative sind beispielsweise Abtretungen und technische Infrastrukturen sowie Freiraumgestaltungen bekannt geworden, einige davon nicht unähnlich den in Baubescheiden üblichen Auflagen und dafür gibt es zumindest teilweise Erfahrungen bis hin zu Kalkulationsgrundlagen.

Neu für beide Vertragspartner sind bekannt gewordene Verhandlungsgegenstände wie beispielsweise die Mitfinanzierungen von Kindergarten- und Schulplätzen sowie Wohnungsqualitäten, wobei insbesondere letztere neben den Zusatzkosten auch das Wesen der jeweiligen Projektentwicklung in eine bisher unbekannte Chimäre führen können, mystisch ausgedrückt.

In der Kalkulation…

Um noch ein „kleines“ grundsätzliches Kalkulationsbeispiel aus der Praxis anzuführen: unter Baukalkulanten wird beispielsweise diskutiert, wie die jeweiligen Zusatzkosten gemäß ÖNORM 1801 im definierten Kostenrahmen der ersten Gesamtkostenermittlung einzupreisen ist bzw. welchem der Kostenbereich 0-9 diese zuzurechnen sind – in die Grundkosten, die wohl „nichtssagend“ im Bereich 0 (Null!) firmieren? oder doch in die Aufschließung, also Bereich 2, gar Reserven also Schlusslicht Bereich 9? Auch wenn gesplittet, in welcher Höhe? Nur als ein Beispiel der weiten Betätigungsfelder.

Für die Raumplanung…

Aus raumplanerischer Sicht möchte ich noch auf den Grundsatz hinweisen, dass Widmungsänderungen nur dann genehmigt werden dürfen, wenn die dafür erforderliche Infrastruktur vorhanden ist oder von der Gemeinde im Zuge der Projektrealisierung erstellt wird – die derzeitige rege Bautätigkeit in Wien mit ca. 25.000 zusätzlichen Einwohnern pro Jahr bzw. dem Entwicklungsziel gemäß aktuellem Stadtentwicklungsplan von 2 Mio Einwohner bis 2025 überfordert jedenfalls die vorhandenen Budgets, DER Grund aus Sicht der Stadt Wien für erforderliche Beteiligungen von Projektwerbern.

„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“: bekanntlich wurde bisher ein einziger Vertrag mit Zustimmung der Gemeinde als auch des Projektwerbers im Zuge einer politischen Diskussion im Frühjahr 2017 veröffentlicht. Dieser ist aber keinesfalls als „Mustervertrag“ geeignet, da gerade dieses Projekt nicht zuletzt aufgrund des in Wien einzigartigen Eislaufplatzstandortes ein besonders unvergleichliches ist. Wobei Großprojekte primär eines gemeinsam haben: sie sind einzigartig, kaum vergleichbar in Standort und Projektentwicklung, damit auch nicht in den für eine Umwidmung erforderlichen oder wünschenswerten Leistungen die dem Projekt als auch dem Grätzel respektive der Stadt gut tun würden.

Aus Sicht der Immobilienbewertung…

In meinem Unternehmen haben wir deshalb ein Projekt zu Bewertungsmodellen für Immobilienentwicklungen mit Städtebaulichen Verträgen begonnen, das mittlerweile auch von der Wirtschaftsagentur Wien gefördert wird.

Um zur Liegenschaftsbewertung geeignete Modelle speziell für Wien empfehlen zu können, haben wir dafür als Grundlage 10 durchaus unterschiedliche Modellansätze definiert und beleuchten diese aus Sicht der 4 wesentlichen Disziplinen Stadtplanung, Immobilienentwicklung, öffentliches Recht und Privatrecht. Eine spannende Aufgabe zeitgleich zur WBO-Novelle und deren erste Prüfungsschritte, da unser beauftragter Forschungszeitraum erst im Mai 2019 endet.

Und eine Klarstellung zum Abschluss: die verhandelten Beträge sind überwiegend projektspezifische Sicherstellungen, keine absoluten Kosten wie in diversen Medien berichtet wird, gesichert werden Qualitäten, die demgemäß je nach Stand der Baupreise oder Normen in der Realisierungsphase durchaus differierende Abrechnungsbeträge generieren können.

In Teil II behandeln wir dann die geplante Novelle der Bauordnung.

Bei der GBB Green & Blue Building Conference wird dieses Thema weiter vertieft werden, melden Sie sich bitte hier an.

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