EU-Taxonomie: Wie sie funktioniert und was sie konkret für Unternehmen bedeutet

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Die EU-Taxonomie soll Unternehmen, Gemeinden und letztlich der gesamten Wirtschaftswelt dabei helfen, die Komplexität in Sachen Nachhaltigkeit zu meistern. Endlich wird klar definiert, was nachhaltiges Wirtschaften umfasst, welche Investitionen nachhaltig sind und welche ökologischen Ziele vordringlich sind. Da aber das Thema ganz neu ist und schon 2022 angewandt wird, lassen wir es uns von Klemens Marx vom AIT anschaulich erklären.

Ghezzo: Die EU-Taxonomie ist in aller Munde. Was versteht man nun konkret darunter und welchen Zweck verfolgt die Verordnung?

Marx: Konkret geht es darum, Antworten auf die Frage zu finden, was als nachhaltig gilt und was nicht. Da die Einflussfaktoren auf die Nachhaltigkeit vielfältig sind, ist die Frage nicht einfach zu beantworten aber die Antworten wesentlich, da sie Schlüssel für Transparenz sind und Entscheidungen in Richtung Nachhaltigkeit erst ermöglicht.

Die EU-Taxonomie (EU) 2020/852 ist ein einzigartiger Rechtsakt, der sich der Begriffsdefinition angenommen hat und die Nachhaltigkeit von Wirtschaftsaktivitäten anhand von objektiven Kriterien festlegt. Diese Kriterien wurden in einem Konsultationsprozess mit technischen Experten festgelegt, wobei man sich auf sechs Umweltziele verständigt hat. Diese sind Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen.

Damit eine Wirtschaftsaktivitäten im Sinne der EU-Taxonomie als nachhaltig betrachtet werden kann, muss sie einen wesentlichen Beitrag zu einem dieser sechs Umweltziele leisten und gleichzeitig die anderen nicht kompromittieren. Die konkreten Kriterien werden dabei in den sogenannten Delegated Acts zur EU-Taxonomie festgelegt. Die ersten zwei (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) wurden bereits veröffentlicht. Die weiteren vier Delegated Acts werden demnächst folgen. Die EU-Taxonomie ist über die Delegated Acts ein lebendes Dokument, das sich insbesondere in den dort definierten objektiven Kriterien verändern und kontinuierlich restriktiver werden wird. Das ist erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen und der Wirtschaft eine kontinuierliche Anpassung an diese Vorgaben zu ermöglichen.

Ghezzo: Was erwartet Unternehmen durch die EU-Taxonomie und was werden die Auswirkungen auf Finanzierungen?

Marx: Die EU-Taxonomie umfasst eine breite Palette an Wirtschaftsaktivitäten und ist für bestimmte Unternehmen verpflichtend. Aktuell betrifft es große börsennotierte Unternehmen (mehr als 500 Mitarbeiter), die darüber berichten müssen, ob und in welchem Umfang ihre Wirtschaftsaktivitäten von der EU-Taxonomie erfasst sind – auch eligibility genannt – und ob sie den objektiven Kriterien zur Nachhaltigkeit entsprechen – auch alignment genannt. Welche Unternehmen dieser Berichtspflicht genau unterliegen, definiert die sog. Non-Financial Reporting Directive (Directive 2013/34/EU). Diese wird die aktuell überarbeitet und in die sog. Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) übergehen. Mit Inkrafttreten der CSRD wird die Nachhaltigkeitsberichtspflicht schrittweise auf alle großen Unternehmen (börsennotiert und nicht-börsennotiert) und später auf alle börsennotierten Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, auch KMU, erweitert. Das heißt, schon heute sind Banken beispielsweise von dieser Berichtspflicht erfasst und müssen öffentlich über die Nachhaltigkeit ihrer Investitionstätigkeit berichten. Über diesen Mechanismus sind indirekt alle Unternehmen betroffen, sofern sie auf eine Finanzierung durch Banken angewiesen sind. Die Banken werden zunehmend eine Vielzahl von Daten bei ihren Kunden einfordern, um ihren eigenen Berichtspflichten nachkommen zu können.

Ghezzo: Traust Du der Taxonomie das zu, was man von ihr erwartet, nämlich einen echten ökologischen Impact? Glaubst du, dass sie diese Erwartung erfüllen wird/kann?

Marx: Wir sehen seit geraumer Zeit den Trend hin zu nachhaltigen Investitionen in der Finanzwelt. So stellt beispielsweise der norwegische staatliche Pensionsfonds, der größte Staatsfonds der Welt, der Aktien im Wert von mehr als EUR 1,2 Billionen in 73 Ländern verwaltet, sehr hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit seiner Investitionen. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Koalition „United Nations Glasgow Financial Alliance for Net Zero“, welche 450 Banken, Versicherer und Vermögensverwalter in 45 Ländern bündelt und zusammen mehr als EUR 110 Milliarden kontrolliert. Sie hat bekannt gegeben, Investitionen in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken um 2050 ein insgesamt klimaneutrales Portfolio zu erreichen. Es gibt eine Vielzahl weiterer Beispiele, welche die Bedeutung nachhaltiger Investments zeigen. Die Finanzwelt hat erkannt, dass nachhaltige Investments langfristig erfolgreicher sind als nicht-nachhaltige und eine positiv Wertsteigerung sichern.

Die EU-Taxonomie unterstützt diesen Trend durch klare und transparente Regeln. Investoren bekommen damit ein wirkungsvolles Instrument in die Hand, um besser entscheiden zu können, wie sie ihre Investitionen zukünftig zielgerichtet in Richtung Nachhaltigkeit lenken können.

Ghezzo: Was braucht es in den Unternehmen und in den finanzierenden Banken für Know how?

Marx: Die EU-Taxonomie ist ein komplexes Regulativ, das ein breites Spektrum an Wirtschaftsaktivitäten abdeckt und Berichtspflichten vorschreibt, die bspw. an den Umsatz gekoppelt sind. In einem ersten Schritt ist es wichtig festzustellen, ob und welche Wirtschaftsaktivitäten durch die EU-Taxonomie erfasst sind, um dann entsprechende Eingrenzungen vorzunehmen, damit die richtigen Daten und Informationen erfasst werden. Diese Daten und Informationen müssen dann entsprechend verarbeitet und aufbereitet werden. Dazu braucht es einerseits technisches Sachwissen und andererseits ein Verständnis für die EU-Taxonomie. Für Finanzierer wie Banken ist das eine besonders hohe Herausforderung, weil jetzt zusätzlich das Wissen aus der technischen Domäne notwendig ist, um den Prüf- und Berichtspflichten nachkommen zu können. Hinzu kommt, dass ein breit gefächertes Wissen notwendig ist, wenn die Investitionen in einer Vielzahl unterschiedlicher Wirtschaftsaktivitäten getätigt wurden. Eine weitere Herausforderung ist die Verfügbarkeit der erforderlichen Daten. Das Knowhow der Datenbeschaffung und Nachhaltigkeitsbewertungen anhand einer fragmentieren Datenbasis sind wesentlich.

Ghezzo: Was bedeutet die Taxonomie operativ für Banken und Unternehmen? Welche Lösungen siehst Du in dem Kontext als besonders interessant?

Marx: Ich sehe hier zwei Ebenen: Die Datenbasis und die EU-Taxonomiebewertung. Es ist wichtig für die Unternehmen der Realwirtschaft und Finanzwirtschaft jetzt ihre Daten und Informationen entsprechend aufzuarbeiten. Damit die richtigen Daten verfügbar sind, braucht es ein Verständnis von der EU-Taxonomie, um die erforderlichen Kennzahlen ableiten zu können. Für die wiederkehrende Berichtspflicht müssen die Daten und Informationen darüber hinaus mit einer hohen Verfügbarkeit vorhanden sein, damit sie zur Berichtslegung mit geringen Aufwänden genutzt werden können. Für beide Problemstellungen eignen sich besonders digitale Lösungen sehr gut. Sie sind in bestehende Systeme integrierbar und erlauben eine hohe Verfügbarkeit. Die digitalen Lösungen sollten dabei die Daten und Informationen integrieren und durch geeignete Informationsaufbereitung eine Bewertung im Sinne der EU-Taxonomie auf einfache Art und Weise ermöglichen.

Aktuell arbeiten wir mit Partner gerade an einer solchen innovativen und intuitiven Lösung – VIRIDAD. VIRIDAD (https://www.viridad.eu/), das kommt von VIRIDIS (Latein für grün) und VERDAD (Spanisch für Wahrheit), ist eine digitale, anpassbare Plattform und zentrale Anlaufstelle für Unternehmen der Finanzwirtschaft und Realwirtschaft in EU-Taxonomieangelegenheiten. Die digitale Plattform integriert die erforderlichen Daten. Durch digitale, anpassbare Prozesse wird die Bewertung im Sinne der EU-Taxonomie vereinfacht und Großteils automatisiert ermöglichen sowie die Kennzahlen für die Berichtslegung automatisch berechnet. Die Plattform bietet aber noch mehr und unterstützt dort, wo es technologisches Fachwissen braucht. VIRDAD bringt Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen mit Unternehmen zusammen, damit dringende Fragen und Herausforderungen rund um die EU-Taxonomie rasch beantwortet und gelöst werden.

EU (2021). Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinien 2013/34/EU, 2004/109/EG und 2006/43/EG und der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Europäische Kommission, Brüssel 21.04.2021.

https://www.nbim.no/

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