WISSEN ROCKT: Circular Economy Kickoff - Kreislaufwirtschaft zwischen Vision und Fantasterei

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Am 26. Jänner 2024 war es wieder so weit, und wir haben bei unserem Gastgeber Schiefer Rechtsanwälte im Rahmen eines Business Breakfast unseren Fachbeirat KREISLAUFWIRTSCHAFT eingeladen, sich mit uns über die aktuellen Herausforderungen rund um die zirkuläre Ökonomie, die damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten sowie tolle Praxisbeispiele auszutauschen.

Eines wird von Anfang an klargestellt: Alle Beteiligten am Fachbeirat sind sich einig, dass wir ohne Kreislaufwirtschaft auch keine Wirtschaftszukunft sicherstellen können. Nichtsdestotrotz sind sich noch zu wenige Unternehmen der Dringlichkeit bewusst, haben keine diesbezüglichen Strategien und Geschäftsmodelle und behalten die Linearwirtschaft bei. Die Regulatorien und Standards sind noch nicht dort, wo wir sie brauchen und die politischen Mittel, dies voranzutreiben, sind diskussionswürdig.
Umso wichtiger ist es, auf das Thema der Kreislaufwirtschaft weiterhin zu fokussieren und alle Perspektiven zueinander zu bringen, damit sich das zirkuläre Wirtschaftsmodell dort, wo es Sinn macht, auch durchsetzen kann.

Die stofflich- technologische Perspektive

Beginnen wir mit der Bau- und Immobilienwirtschaft: Alexandra Groiss, verantwortlich für Kreislaufwirtschaft bei der ÖBB INFRA, kennt die Thematik gut: Für uns als Bauherren ist es oft schwierig, einerseits die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten, andererseits die Ziele der Kreislaufwirtschaft zu verfolgen: Tunnelaushubmaterial könnte auch wieder eingesetzt werden, jedoch gehört uns als Bauherren das Material nicht – und hier liegt schon die erste Schwierigkeit!“

Rein praktisch gesehen könnte das Aushubmaterial also dem Beton zugesetzt werden, doch auch die damit verbundene Logistik stellt eine weitere Hürde dar. Nicht nur, aber auch die Logistik spricht Markus Kraft an: „Als EPS Verarbeiter liegt uns Kreislaufwirtschaft sehr am Herzen. Aber abgesehen davon, dass wir gar nicht sammeln dürfen, stellt der Sammelvorgang an sich ein Problem dar: EPS – extrudiertes Polystyrol – ist ein Stoff mit sehr geringer Dichte, dh es braucht hohe Transportvolumina für relativ wenig Substanz.“

Sabine Nadherny-Borutin erklärt:Wir müssen REDUCERE wieder als Tugend in unsere Lebensweise aufnehmen. Dabei geht es nicht um Reduktion, sondern darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Stoffkreisläufe funktionieren nur, wenn man auch die RE-Generation mitdenkt – und hier müssen wir gerade im Kohlenstoff-Kreislauf den Blick schärfen!“

„Die Kunststoff-Diskussion darf sich ja nicht auf das Thema Verpackung reduzieren, denn gerade was Dämmungsmaterialien angeht, sind hauptsächlich Kunststoffe im Einsatz. Und müssen es auch bleiben, denn wie will man sonst die geforderten Dämmwerte erreichen? Wo wir hin müssen, ist eine sortenreine Verwendung, eine reversible Montage und dann eine sortenreine Trennung, damit eine Wiederverwendung OHNE Downcycling möglich ist“, schlägt Elisabeth Moser-Marzi die Brücke zwischen Kunststoff und Bauindustrie.

Thomas Höpler nimmt den Aluminium-Stoffkreislauf unter die Lupe. „Wir sollten möglichst kein Aluminium aus Primärquellen mehr verwenden. Auch wenn wir in Europa schon Vorreiter beim Recyclieren sind, haben wir Luft nach oben – immerhin deponieren wir pro Jahr noch 1,2 Millionen Tonnen!“ Auch hier läuft die Kreislaufwirtschaft nur in Kooperation: Sammler, Sortierer und Aufbereiter müssen Hand in Hand arbeiten.

Sustainability Resilience (c) Bowie Sum Kung

Die ökonomische Perspektive

Wesentliche Fragen der Kreislaufwirtschaft sind auch aus ökonomischer Perspektive noch nicht geklärt. „Wenn wir die Verantwortung für Stoffkreisläufe auf alle Player verteilen, wenn auch alle entlang der Lieferkette sich daran beteiligen, dann muss das Risiko auch entsprechend aufgeteilt werden“, meint auch Martin Schiefer, der als Vergaberechtsexperte die Nachhaltigkeit fest im Blick hat. Und auch hier hakt Markus Kraft ein: „Es braucht viele Player, die ein gemeinsames Bild haben, die unterschiedliche Rechte haben, wo man in Bildung und gemeinsame Optimierung investieren muss – wir dürfen aber nicht vergessen, dass das nicht unser Kerngeschäft ist!“

Was dürfen Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und Regeneration also kosten?

Das kreislauffähige Produkt darf nicht mehr kosten als das konventionelle. Werden wir die Transformation also nur schaffen, wenn die konventionellen Stoffe NOCH teurer werden, z.B. durch CO2 Bepreisung? Oder führt das automatisch zum wirtschaftlichen AUS der europäischen Produkte? Als Konsument*innen entscheiden wir gerade in Zeiten der Inflation ökonomisch und preisgetrieben, das gleiche Bild erleben wir in Unternehmen. „Es ist völlig realitätsfern, dass ein konventionelles Produkt aus Billigländern als günstiger bewertet wird, als ein nachhaltiges aus Europa – hier stimmt die Bewertung einfach nicht“, mahnt auch Martin Schiefer. Fazit: Wir denken zu wenig in Konsequenzen, wir fassen die Folgen unserer Entscheidungen nicht, und deshalb sind wir auch nicht bereit, für ein entsprechend nachhaltiges oder regeneratives Produkt mehr zu bezahlen.

Um das sinnvoll zu bewerten, fehlt uns allzu oft der Blick auf den gesamten Lebenszyklus.

Und JA, der Wirtschaftsstandort Europa steht vor der Herausforderung, dass Gewinne nicht mehr in Europa reinvestiert werden und wenn dann nicht ausreichend in eine wirtschaftliche Transformation. Dem müssen wir uns stellen! Und zwar mit Bewusstseinsbildung und einem Werte-Wandel.

Die rechtliche und normative Perspektive

Auch rechtlich sind wir noch nicht dort angekommen, wo wir von einem „level playing field“ für Kreislaufwirtschaft sprechen. Reinhard Backhausen sagt dazu: "Wir wollen, wir können, wir dürfen nicht."

„Allein im UVP-Gesetz muss ich vom worst case ausgehen, das Aushubmaterial mit LKW wegzuführen und neues Virgin-Material wieder hinzuführen. Das das gleich mal eine schlechte Umweltbilanz hat, und dass es in Wahrheit viel besser ginge, wird hier nicht berücksichtigt“, erklärt Martin Schiefer. Viele weitere Gesetze könnten hier noch genannt werden, vom Abfallbegriff bis zum EEG, es bleibt die Tatsache: die aktuelle Gesetzeslage ist in vielen Punkten ein echter Show-Stopper.

Anna-Vera Deinhammer bringt die Möglichkeiten dazu ins Spiel: „TU NIX until 2026 – das war ein sehr provokatives Bonmot der letztjährigen Expo-Real – nur so kann es natürlich nicht sein! Ohne Normung schaffen wir keine Kreislaufwirtschaft. Niemand würde das Risiko übernehmen, nicht genormte Materialien, Verfahren oder Bauwerke einzusetzen. Deshalb arbeiten wir eng mit Austrian Standards zusammen, um wirtschaftlich und technologisch umsetzbare Normen zu erstellen.“

 

FAZIT

Unsere Werte bestimmen unsere Entscheidungen. Erst, wenn wir über den gesamten Lebenszyklus Bescheid wissen, wenn wir die Konsequenzen unserer Entscheidungen vollends blicken, können wir anfangen, anders zu handeln.

Nicht nur aus ökologischer und ökonomischer Sicht haben wir keine Alternative zu einer regenerativen Kreislaufwirtschaft. Auch aus einem sozialen Verständnis und der Verpflichtung, unseren nachkommenden Generationen einen freien und friedlichen Lebensraum zu hinterlassen, muss genau diese Transformation gelingen!

Und wie? Natürlich gemeinsam!

Informationen, Fakten, Inspirationen, Best practice Beispiele und viele multiperspektivische Diskussionen wird es auf unserer Fachkonferenz „CLOSE THE CIRCLE IV“ am 01.10.2024 im Palais Eschenbach geben.

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