Bauchgefühl vs. Data driven: So verändert die Digitalisierung die Immobilienwelt

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Jörg Buß, Geschäftsführer PriceHubble Österreich ist einer der Protagonisten der österreichischen Proptechszene. Immer geht es ihm um Transparenz, Datengrundlagen für objektivere Entscheidungen und eine Digitalisierung abseits vom Bullshit-Bingo. Im Interview erklärt er wichtige Begriffe, zeigt Anwendungsbeispiele der Immobilienbranche, analysiert die Proptech Welt nach Corona und den Status der Digitalisierung in der Immobilienbranche.

 

Ghezzo: PriceHubble beschäftigt sich mit Big Data, Machine Learning, KI und attraktive Visualisierungen bei der Analyse von Immobilienwerte. Das klingt wie eine Auflistung von Buzzwords. Jörg, was heißen diese Begriffe konkret für die Immobilienpraxis?

Buß: Das sind natürlich erst einmal große, abstrakte Begriffe, die jedoch genau für das stehen, was wir mit unseren Produkten vermitteln und erreichen möchten. In erster Linie ist es unser Ziel, Immobilieninformationen für jeden nutzbar zu machen und somit ein neues Transparenzlevel im Markt zu schaffen. Die Informationen gibt es bereits zuhauf, doch mit bisherigen oft manuellen Mitteln war es nicht möglich, diese sinnvoll und bestmöglich einzusetzen.

Mit statistischen Bewertungsmodellen, sogenannten AVMs (“Automated Valuation Models”), ist es jedoch möglich: Mit Hilfe von Big Data Analytics, Machine Learning und KI lassen sich unzählige immobilienbezogene Daten strukturieren und auswerten, so dass man dann quasi jede wohnwirtschaftlich genutzte Immobilie zu jeder Zeit, an jedem Ort, in Echtzeit auf Knopfdruck bewerten und analysieren kann.

Neben dem statistisch wahrscheinlichsten Markt- und Mietpreis kann das Modell dann auch eine umfassende Objekt- und Standortanalyse ausgeben. Das System zieht dafür unter anderem Marktdynamiken im Umfeld und Lagekriterien wie zum Beispiel Geräuschpegel, Erreichbarkeit, Sonneneinstrahlung oder die Qualität der Aussicht heran, ebenso wie bspw. geplante Neubauprojekte in der Umgebung oder sozio-ökonomische Entwicklungen in der Nachbarschaft. So können auch nicht-lineare Zusammenhänge zwischen Preisen und wertrelevanten Merkmalen abgebildet werden. Das System ist darauf ausgerichtet alle Daten des Objekts, angefangen bei den Kerndaten der Immobilie wie der Größe, Anzahl der Zimmer, Baujahr und Qualität auch Daten des Umfeldes, die Qualität der Ausstattung und auch Entwicklungen des Marktes in komplexe Zusammenhänge zu bringen. So ist es uns möglich, nicht nur den statistisch wahrscheinlichsten Markt- oder Mietpreis der Immobilie, sondern auch einen Ausblick auf die Entwicklung des Wertes geben zu können. Im Vergleich zur traditionellen Bewertung sind damit echte Prognosen möglich.

Und damit unsere Kunden diese Daten wiederum bestmöglich für ihre Kunden einsetzen können, legen wir außerdem einen starken Fokus auf die Darstellung und Visualisierung der Ergebnisse. Eine intuitiv zu bedienende und leicht verständliche Oberfläche ermöglicht es, die Daten schnell zu erfassen und entsprechend der Bedürfnisse zu interpretieren und einzusetzen. Zudem ist es an vielen Stellen möglich, individualisierbare Bewertungsexposés auch einfach via Mini-Webseite oder als PDF zu teilen, um bisher manuelle Prozesse zu automatisieren.

Ich gebe Dir dazu ein konkretes Beispiel: Immobilienmakler oder Finanzberater stehen oftmals vor der Frage, wie sie mit Bestandskunden wieder in den Dialog finden. Wir bieten dafür eine Art Kontoauszug für Immobilien an. Dass heißt, der Bestandskunde kann automatisiert ein Wertupdate zu seiner Immobilie bekommen, per Link in einer WhatsApp-Nachricht oder per E-Mail als PDF. Viele Eigentümer wissen nicht, wieviel ihre Immobilie aktuell Wert ist und so kann sich daraus bereits ein Bedarf entwickeln, sei es für einen erneuten Kauf einer Immobilie, den Verkauf der bewerteten Immobilie oder eine Sanierung oder Entwicklung des Objekts. Ohne digitales Bewertungstool hätte das den Berater viel Aufwand gekostet, so ist es ein Knopfdruck.

Ghezzo: Bauchgefühl vs. Data driven: Worauf vertraust Du bei Deinen Entscheidungen?

Buß: Das Bauchgefühl ist manchmal wichtig. Vor allem, wenn es um lokale Besonderheiten geht, wie eventuell Fahrtwege, die objektiv betrachtet auf der Karte gut aussehen und aus subjektiver Erfahrung nicht gangbar sind. Doch gerade da, wo es darum geht, möglichst viele Faktoren für eine Entscheidung abzuwägen, ist die datengestützte Auswertung nicht mehr wegzudenken. Oftmals kann damit vielleicht auch ein subjektives Bauchgefühl bestätigt und erklärbar gemacht werden. Das eine muss das andere nicht immer ausschließen.

Ghezzo: Sind die Daten für den Immobilienmarkt in Österreich so transparent, wie man es für moderne Analysen braucht? Wie steht denn die österreichische Immobilienbranche zum Thema Transparenz?

Buß: Österreich ist in Hinblick auf die Datentransparenz und Verfügbarkeit schon sehr weit, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Wir sind mit PriceHubble bereits in 6 europäischen Ländern vertreten und haben damit vor allem in diesem Segment einen sehr guten Überblick. Bereits heute sind viele sozioökonomische oder Infrastrukturdaten über Open Data Portale abrufbar. Ebenso sind auch Transaktionsdaten im Immobilienmarkt relativ offen verfügbar. Das ist nicht überall so. In Deutschland beispielsweise liegen die Transaktionsdaten nur bestimmten Institutionen vor und werden nur kumuliert herausgegeben. Ich denke Transparenz ist ein wichtiger Faktor für einen gut funktionierenden Markt. Wenn alle Teilnehmer über die gleiche Informationsbasis verfügen, ist ein fairer Wettbewerb gewährleistet und der Markt kann effizienter und flexibler handeln.

Ghezzo: Du kennst die Proptech Szene sehr gut: Wie ist es dieser jungen Branche während der Pandemie gegangen? Hat der Digitalisierungsboost eingesetzt?

Buß: Proptechs sind bereits naturgemäß in der Regel digital aufgestellt. Eine wirkliche Umstellung intern auf digitale Prozesse, Meetings, Homeoffice war also in vielen Unternehmen gar nicht nötig. Wir bei PriceHubble sind ohnehin auch personell global aufgestellt und treffen uns in digitalen Räumen, tauschen uns digital aus. Dann ist es außerdem so, dass sich die allermeisten Proptechs inhaltlich damit befassen, bestehende Prozesse durch neue digitale Prozesse zu ersetzen oder zu verbessern bzw. Dienstleistungen in den Markt zu bringen, die dabei helfen, schneller und effizienter zu arbeiten. Diese Dienstleistungen und Produkte sind es auch, mit denen sich die Branche nun durch die Pandemie auseinandersetzen muss. Viele Unternehmen hat die Pandemie regelrecht in die Digitalisierung getrieben. Hat man vorher noch viel intern diskutiert, ob digitale Prozesse und eine Investition in die Digitalisierung des eigenen Unternehmens notwendig ist, war es nun unabdingbar. Vielen Proptechs wird es demnach wie uns gegangen sein und sie haben eher einen starken Anstieg der Nachfrage erlebt.”

Ghezzo: Wie steht eigentlich Österreich in Sachen Digitalisierung im internationalen Vergleich dar?

Buß: Es gibt noch Luft nach oben. Immer häufiger begegnen mir bei österreichischen Immobilienunternehmen Innovations- und Digitalisierungsmanager. Das ist eine sehr gute Entwicklung. In den etablierten Unternehmen braucht es Übersetzer zwischen der alten und der neuen Welt, Experten, die die Probleme in den Unternehmen kennen und gleichzeitig so viel technisches Verständnis aufbringen, um die richtigen Proptechs für die Lösung der Probleme auszuwählen.

Mir scheint es allerdings so, dass in einigen anderen europäischen Ländern die Bereitschaft bei den etablierten Unternehmen größer ist, Projekte mit Proptechs aufzusetzen, um einen Proof-of-Concept zu starten, als bei uns hier in Österreich.

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