Die Wiederauferstehung von Öl aus Müll

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Nimm Kunststoffmüll, der sonst einfach nur verbrannt werden würde, und mach daraus Öl!“ – das klingt doch fast nach einem Märchen, oder? So etwas passiert jedoch gerade in der Wirklichkeit, nämlich bei der OMV. Dabei treffen sich wirtschaftliche und ökologische Interessen, man kann diese Innovation also durchaus als Rolemodel für die Kreislaufwirtschaft der Zukunft verstehen, wo es darum geht, Ressourcen nicht durch einmalige Verwendung zu verschwenden. Im Interview erfahren wir von Stefan Pirker, Head of innovation and technology management chemical recycling der OMV, wie die Wiederauferstehung von Öl aus Müll funktioniert und welche wissenschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Überlegungen dabei eine Rolle spielen.

Ghezzo: Bei ReOil® wird aus Kunststoffmüll wieder ein synthetisches Öl. Das klingt fast zu schön um wahr zu sein. Wo ist der Haken? Wie schaut es mit der eingesetzten Energie u.s.w. aus?

Pirker: Mit dem ReOil®-Verfahren wird Altplastik, das sonst nicht recycled oder zumindest nicht zu gleichwertigen Plastikprodukten weiterverarbeitet werden könnte, in den Produktionskreislauf rückgeführt. Die OMV schafft mit dem patentierten chemischen Recyclingverfahren (=ReOil®) die perfekte Ergänzung zu mechanischem Recycling und ermöglicht damit für Plastik eine echte Kreislaufwirtschaft – so wie man sie zum Beispiel bei Altpapier kennt. Eigentlich noch besser, denn im Gegensatz zum Altpapierrecycling verliert das durch unser Verfahren verarbeitete Altplastik nicht an Qualität. Aus alten Chips-Packungen kann wirklich wieder ein Joghurtbecher, ein Infusionsbeutel oder auch eine Stoßstange werden, alles hochwertige Plastikprodukte gleicher Qualität wie vorher aus fossilem Rohöl hergestellt.

Chemische Recycling Anlage Raffinerie Schwechat

Das synthetische Öl, das aus dem Prozess hervorgeht, ist etwas anders strukturiert – in der Raffineriesprache sagen wir ‚leichter‘ – als fossiles Rohöl und kann dadurch direkt in einen nachgelagerten Raffinerieprozess eingespeist werden. Im Vergleich zur Verarbeitung von fossilem Rohöl spart man somit Energie, weil energieintensive Prozesse (wie Vakuumdestillation oder Rückstandskonvertierung) für dieses leichte Öl nicht erforderlich sind– an die 20 Prozent gegenüber der Verarbeitung von fossilem Rohöl. Außerdem muss synthetisches Öl nicht erst gefunden, gefördert und über weite Strecken transportiert werden, und spart damit im Vergleich zu fossilem Rohöl rund 45 Prozent CO2 ein.

Ghezzo: Erklären Sie uns bitte die Technologie etwas genauer?

Pirker: In der Anlage verarbeiten wir Mischplastik wie Polyolefine und/oder Polystyrol aus dem Verpackungsbereich, also etwa Folien oder Becher. Wir verwerten zum Beispiel die gebrauchten Plastikbecher, die auf den Flügen der Austrian Airlines anfallen. Ob sich eine Verpackung als Einsatzstoff für die ReOil®-Anlage eignet, erkennt man am aufgedruckten Recycling-Code: Die Nummern 02 (Polyethylen – high density), 04 (Polyethylen – low density), 05 (Polypropylen) und 06 (Polystyrol) können im ReOil®-Verfahren recycelt werden.

Das Altplastik wird bereits vorsortiert und zerkleinert in die Raffinerie geliefert, wo die kleinen Plastikstücke, so genannte Flakes, in den Prozesskreislauf eingebracht werden. Dafür wird ein Extruder verwendet, der das Plastik gleich auch schmilzt. Diese erste Stufe des Prozesses wird daher als Aufschmelzen bezeichnet. Plastik leitet Wärme schlecht und große Mengen lassen sich somit nicht so einfach erhitzen. Das ist eine der großen Herausforderungen des chemischen Recyclings: Wie bringe ich die thermische Energie ein? Geschmolzenes Plastik ist außerdem sehr zähflüssig, fast wie Honig, und lässt sich deshalb nur schwer durch Rohre transportieren. Die Lösung der OMV ist ein Lösungsmittel – wir verwenden dafür ein Zwischenprodukt aus einem anderen Prozess in unserer Raffinerie. Es ist also bereits vor Ort und wir müssen es nicht extra beschaffen. Dieses Lösungsmittel vermischt sich mit dem Plastik und macht es so dünnflüssig wie Wasser, sodass ein Wärmeübertrag sehr einfach und effizient in turbulenter Strömung erfolgen kann, wie wir es bei der Warmwasserbereitstellung durch einen Durchlauferhitzer von zu Hause kennen.

Der zweite Schritt ist das so genannte Cracking. Dabei werden durch Wärmeenergie die langen Kohlenwasserstoffketten im Plastik in kürzere Ketten aufgebrochen. In der Raffinerie haben wir viel Erfahrung mit Cracking-Prozessen.. Aus chemischer Sicht ist Plastik ein ideales Cracking-Medium, weil es viele Wasserstoffatome enthält. Wir sprechen vom sogenannten C-zu-H-Verhältnis, also wie viel Wasserstoff im Vergleich zu Kohlenstoff enthalten ist. Dieses ist bei Kunststoff sehr gut, deswegen fallen beim Kunststoff-Cracking relativ wenig Reststoffe an und die Produktausbeute ist hoch. Wir konnten also unser bisheriges Know-how gezielt einbringen, um das Verfahren zu entwickeln und zu betreiben. Der Crackprozess findet auch bei sehr moderaten Temperaturen von ca. 400-430°C statt. Nur zum Vergleich, ein Pizzaofen hat ideal Temperaturen von 360-370°.

Im dritten Schritt, Flashing genannt, werden jene Stoffe abgetrennt, die bereits kurzkettig genug sind, um in der Raffinerie weiterverarbeitet zu werden und wieder als Basis für hochwertige Kunststoffe zu dienen. Jene Stoffe, die noch zu langkettig sind, durchlaufen den ReOil-Kreislauf noch einmal. In verschiedenen Zwischenschritten werden Zusatzstoffe, wie Farbstoffe oder Stabilisatoren, und Füllstoffe, die bei der Herstellung und Verarbeitung des Plastiks zugesetzt wurden, abgetrennt. Durch das Abtrennen dieser Zusatzstoffe kann aus dem synthetischen Rohöl wieder Kunststoff hergestellt werden, der dieselbe Qualität wie „virgin plastic“ – also Neukunststoff – hat.

Ghezzo: Wie positionieren Sie sich im Wettbewerb um die umkämpfte Ressource Altplastik?

Pirker: Unser Verfahren zielt auf die Verwendung von Altplastik, welches nicht mehr mechanisch recycelt werden kann und damit heute in der Verbrennung landet. Damit können wir z.B. Rejects aus dem mechanischen Recycling und hochkalorische Mischplastikfraktionen einsetzen. Wir sehen es nicht als Kampf, sondern als sinnvollen Weg zu einer Kreislaufwirtschaft und damit der richtigen Verwendung des Altplastiks als Rohstoff.

Wie wird sich ReOil® weiterentwickeln? Was sind die nächsten Meilensteine?

Seit den ersten ReOil®-Versuchen im hauseigenen Labor wurde einiges an Entwicklungsarbeit geleistet. Wir konnten im Technikum, das ist quasi eine kleine ‚Testraffinerie‘ in der Raffinerie, den Prozess entwickeln und die Idee mit dem Lösungsmittel verifizieren. 2018 wurde dann eine ReOil®-Pilotanlage in Betrieb genommen, die bereits vollständig in den normalen Raffinerieablauf integriert war. Die Anlage läuft nun seit mittlerweile drei Jahren im Dauerbetrieb (seit 2019 haben wir bereits 12.000 h Crackbetrieb erreicht) und hat seitdem über 600 Tonnen Altplastik zu synthetischem öl verarbeitet – nicht ganz unbeträchtlich für eine Pilotanlage. Und das ist nur der Anfang: Denn klares Ziel ist es, das Verfahren in den nächsten Jahren auf ein Vielfaches davon zu skalieren.

Die 2018 in Betrieb gegangene ReOil® Pilotanlage kann in einer Stunde 100 Kilogramm Altplastik verarbeiten und daraus 100 Liter synthetisches Rohöl herstellen. Die nächstgrößere Anlage befindet sich bereits in Planung, ein ReOil®-Prototyp, ebenfalls in der Raffinerie Schwechat. Sie soll Ende 2022 in Betrieb gehen und eine Kapazität von 16.000 Tonnen pro Jahr haben. Schlussendlich soll das OMV ReOil®-Verfahren dann bis 2025 zu einer kommerziell wirtschaftlichen Technologie im großindustriellen Maßstab entwickelt werden, und bis zu 200.000 Tonnen Plastikabfall pro Jahr verarbeiten.

Chemische Recycling Anlage Raffinerie Schwechat

Ghezzo: Kreislaufwirtschaft scheitert oft an der Komplexität und noch öfter an der Wirtschaftlichkeit. Wie gehen Sie mit dem Spannungsbogen ökologische vs. wirtschaftliche Nachhaltigkeit um?

Pirker: Für uns muss Beides gegeben sein. Investitionen in neue Technologien müssen sich wirtschaftlich rechnen und erfolgreich sein. Und mit unserem Verfahren müssen wir auch die entsprechenden CO2 und Energieeinsparungen erreichen. Deshalb arbeiten wir auch an einer Aktualisierung des Life-Cycle-Assessments des chemischen Recycling in Kombination mit dem mechanischen Recycling.

Ghezzo: Wie schaut es mit der praktischen Umsetzung und den Kapazitäten aus?

Pirker: Seit langer Zeit ist unsere Wirtschaft geprägt von einem linearen Ansatz, bei dem Rohstoffe hergestellt, weiterverarbeitet und nach einmaligem Gebrauch weggeworfen werden. Die Zukunft braucht allerdings eine Kreislaufwirtschaft, in der wir unsere Produkte wiederverwenden und am Ende der Lebensdauer effizient recyceln – das gilt auch für Plastik.

Experten rechnen vor, dass sich der Kunststoffbedarf in den letzten 50 Jahren verzwanzigfacht hat und in den nächsten 20 Jahren noch etwa verdoppeln wird. Kunststoffe machen unser Leben effizienter, bequemer und sicherer. Wenn jedoch nicht genügend Anstrengungen unternommen werden, Kunststoffe wiederzugewinnen und Abfälle zu minimieren, kann dies negative Auswirkungen auf die Umwelt haben.

OMV und Borealis engagieren sich für die Reduktion von CO2-Emissionen, um den Klimawandel zu bewältigen. Wo die Vermeidung und Wiederverwendung von Kunststoffen nicht möglich ist, bietet Recycling eine nachhaltige Alternative. Borealis ist der Technologieführer der Branche und betreibt in Österreich und Deutschland drei mechanische Recyclinganlagen. Am 14.01.2021 hat Borealis zusammen mit den Partnern TOMRA und Zimmermann eine hochmoderne Pilotanlage für mechanisches Recycling in Deutschland in Betrieb genommen. Die Anlage kann sowohl Folien als auch feste Kunststoff-Haushaltsabfälle recyceln. Und im Gegensatz zu vielen anderen Recyclinganlagen liefert sie fortschrittliche Materiallösungen, die für anspruchsvollste Kunststoffanwendungen in zahlreichen Bereichen benötigt werden, z.B. für Verbraucherverpackungen oder Automobilanwendungen. Diese Pilotanlage bildet das Fundament und die Grundlage für zukünftige Anlagen im kommerziellen Maßstab, um die Produktion von recycelten Polyolefinen zu erhöhen, damit Borealis seine Ziele erreichen kann.

OMV betreibt seit 2018 die einzigartige chemische Recycling-Pilotanlage auf Basis der innovativen und patentierten ReOil® -Technologie und bereitet derzeit den Bau der ersten großtechnischen Anlage vor. Die von OMV selbst entwickelte Technologie basiert auf thermischem Cracken und wandelt Kunststoffabfälle chemisch in synthetisches Öl um, welches dann zu neuwertigen Rohstoffen für die Produktion von Kunststoffen verarbeitet wird. Durch die Kombination ihrer Bemühungen im Bereich des mechanischen und chemischen Recyclings werden OMV und Borealis dazu beitragen, den Kunststoffkreislauf zu schließen und gleichzeitig die CO2-Emissionen bei der Herstellung sowie am Ende der Lebensdauer von Kunststoffen zu reduzieren. Die Auswahlkriterien für den Einsatz der Recyclingtechnologie richten sich nach Markt-, Qualitäts-, Klima- und Regulierungsanforderungen. Borealis und OMV werden weiterhin zusammenarbeiten, um diese Technologien gemeinsam zu entwickeln. Ziel ist es, niedrigere Kohlenstoffemissionen zu erreichen und Polyolefine von einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft zu führen.

Chemische Recycling Anlage Raffinerie Schwechat

Als weltweit tätiges Unternehmen: Wie schätzen Sie die internationalen Entwicklungen zum Thema Kreislaufwirtschaft ein?

Kunststoffe sind zu einem essenziellen Werkstoff der modernen Wirtschaft geworden, da sie unübertroffene funktionale Eigenschaften mit niedrigen Kosten verbinden. Ihr Einsatz hat sich im letzten halben Jahrhundert verzwanzigfacht und wird sich in den nächsten 20 Jahren aufgrund des erheblichen Bevölkerungswachstums und des steigenden Lebensstandards voraussichtlich nochmals verdoppeln. In der chemischen Industrie sind neue Wege zur Herstellung der gleichen Produkte mit geringeren Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Gesundheit sowie die Verwendung von recycelten und erneuerbaren Rohstoffen die Schlüsselkomponenten für mehr Nachhaltigkeit. Eine signifikante Steigerung der derzeitigen Nutzung von kreislauffähigen und nachhaltigen Rohstoffen ist notwendig und wird auch von den Gesetzgebern festgeschrieben.

Wir haben seit den 70er Jahren des letzen Jahrhunderts gelernt aus single use Papier (Einpackpapier, Kartonage, ja selbst die Zeitung ist heute single use), single use Metall (Getränke und Lebensmitteldosen) aber auch single use Glas (Gurkenglas bis hin zur 0,7l Weinflasche) über Altpapier, Altmetall und Altglas Sammlung, diese Wertstoffe einem Recycling zuzuführen. ReOil® ermöglicht es uns, Altplastik, dass nicht mehr mechanisch recycled werden kann sinnvoll wiederzuverwenden und damit die Recyclingquote für diesen Wertstoff zu erhöhen – und dass bei deutlich geringen Energieeinsatz als Altmetall und Altglas für Transport (weil signifikant geringeres Gewicht) und Einschmelzung (weil bei Glas und Metall Temperaturen von 2000°C erforderlich sind).

CO2 Reduktion ist für die OMV ein sehr wichtiges Ziel. Und welche weiteren Nachhaltigkeitsinitiativen gibt es bei der OMV?

Die OMV hat sich im vergangenen Jahr das Ziel gesetzt, CO2 Neutralität im operativen Bereich bis 2050 zu erreichen, also ihre direkten Treibhausgasemissionen und die indirekten Emissionen aus dem Stromzukauf bis 2050 auf netto-Null zu bringen. Weiters haben wir kurzfristigere CO2 Intensitäts-Ziele bis 2025 für die Bereiche Refining und Exploration & Produktion gesetzt. Auch die CO2 Intensität unseres Produkt Portfolios wollen wir bis 2025 weiter reduzieren. Dies erreichen wir zum Beispiel durch die Erhöhung des Bioanteils in unseren Treibstoffen und durch einen mindestens 60%igen Erdgasanteil in unserem Produktportfolio.

Im Augenblick arbeiten wir an einer neuen Strategie, die auch neue kurz-, mittel- und langfristige umfassende Klimaziele beinhalten wird. Die Präsentation der neuen Strategie ist für den 1. Quartal 2022 geplant.

Aktuell gültige Ziele: • Bis 2025 wird die OMV die CO2-Intensität ihrer Geschäftstätigkeit um mindestens 30% reduzieren (Exploration & Produktion -60%; Refining -20%). • Von 2020 bis 2025 werden wir durch die Umsetzung von konkreten Treibhausgas-Emissionsreduktionsprojekten mindestens eine Mio. Tonnen CO2äquivalente einsparen. • Ambition: Klimaneutralität in der Betriebstätigkeit bis 2050 oder früher. • Bis 2025 sollen CO2-arme/CO2-freie Produkte mindestens 60% des Portfolios ausmachen.

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