Städtebauliche Verträge und die Novelle der Bauordnung in Wien – Teil III

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Im dritten Teil der Kurzserie über städtebauliche Verträge vergleicht Evelyn Susanne Ernst-Kirchmayr die Regelungen in der Schweiz sowie in ...

... Im dritten Teil der Kurzserie über städtebauliche Verträge vergleicht Evelyn Susanne Ernst-Kirchmayr die Regelungen in der Schweiz sowie in Deutschlang mit denen in Österreich Wien ist ja nicht die erste Stadt die Umwidmungen an Bedingungen knüpft Die Schweiz mit ihrer langjährigen Erfahrung mit Mehrwertabschöpfungen wird immer wieder als Vorbild erwähnt zurecht

Wien ist ja nicht die erste Stadt, die Umwidmungen an Bedingungen knüpft. Die Schweiz mit ihrer langjährigen Erfahrung mit Mehrwertabschöpfungen wird immer wieder als Vorbild erwähnt – zurecht?

Wenn Sie mit „Bedingungen zur Umwidmung“ die Beiträge zur Infrastruktur durch privatrechtliche Vereinbarungen meinen: Nein, „Wien hat`s nicht erfunden“, ganz im Sinne von Ricola: da waren die Schweizer schneller, also früher.

In der Tat hat die Schweiz bereits seit 1979 (!) einen „angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile die aus diesem Gesetz entstehen“ im Artikel 5 des Raumplanungsgesetzes, und zwar einem Raumplanungsgesetz des Bundes, das als Rahmengesetz fuer alle 26 Kantone vielerlei Grundsätze der Raumplanung regelt.

Insofern hinken die oftmals angeführten Beispiele der Vertragsraumordnung aus der Schweiz in vielerlei Hinsicht, allem voran eben aufgrund dieser bundeseinheitlichen Regelung, die wir in Österreich noch nie hatten, auch wenn einige mit beiden Systemen erfahrene Raumplaner und Juristen diese Diskussion immer wieder diskutieren, mich aufgrund meiner Schweizerfahrung seit den 80-er Jahren eingeschlossen.

Betreffend das „ursprüngliche“ Raumplanungsgesetz aber noch viel klarer ist die Gesetzeslage seit der Novellierung des RPG 2013, mit dieser „angemessene Ausgleich“ auf mindestens 20% Mehrwertabschöpfung konkretisiert wurde, zwingend für die Umsetzung in kantonales Recht und eben als „Mindestprozentsatz“.

Der Kanton Basel Stadt wird immer wieder erwähnt mit seiner 50%igen Mehrwertabgabe durch eine Aufzonung d.h. Umwidmung, und tatsächlich waren meines Wissens seit 1977 erst 2 Gerichtentscheide erforderlich. Aber auch der Kanton Thurgau hat sich 2011 eine Abschöpfung von 50% selbst auferlegt, Geneve im gleichen Jahr 20% wie es das nahe gelegene Neuchatel schon seit 1986 hatte – alle diese erwähnten Kantone übrigens noch auf Basis der Freiwilligkeit des „alten“ RPG. Auffällig ist die Konzentration der Musterschüler „pro Gewinnabschöpfung“ in Kantonen jenseits des Röstigrabens, doch Ausführungen zu wirtschaftlichen Erklärungen samt Mentalitätsunterschieden würden hier zu weit führen.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass – typisch Schweiz – diese Novelle mit verpflichtender Mindestabschöpfung durch eine Abstimmung des Bundesvolkes zum Gesetz wurde, nach Aufrufen der Initiatoren „die Raumplanung geht uns alle an“.

Dieses Beispiel würde bedeuten, dass wir uns in Österreich ALLE als Vorbereitung für eine Volksabstimmung zuerst einmal intensiv mit Raumplanung beschäftigen müssten – das wäre für die Disziplin der Raumplanung zwar eine grandiose Werbeaktion, aber ich traue mich abzuschätzen, dass die Zeit dafür noch länger als lang nicht reif ist.

Insofern sehe ich die Vergleiche mit Schweiz untauglich, als kleinen Trost kann ich aber noch anführen, dass auch dort nicht alles Gold ist: einige Kantone wollten ihren Wettbewerbsvorteil der Nichtabschöpfung so lange als möglich hinauszögern, wodurch sich der Bund gezwungen sah, als Frist Mai 2019 für kantonale Gesetzesregelungen festzulegen und Kantone, die bis dahin keine verbindlichen Regelungen erlassen mit einem generellen Einzonungsverbot zu belegen, also jegliche neue Baulandausweisungen zu verbieten solange die Bundesvorgabe nicht erfüllt wird.

Allerletzte Anmerkung zum Beispiel Schweiz: wohin mit dem abgeschöpften Mehrwert, also den je nach Kanton 20-50% vom Rahm, oder Rähmli wie es die Schweizer so hübsch nennen?

Die Aufteilung der Schweizer Franken erfolgt nach eigens festzusetzenden Anteilen zwischen dem jeweiligen Kanton und der „betroffenen“ Gemeinden, soweit auch der Ansporn diese einzuheben und – sehr wesentlich: die Projektwerber sehen auch wohin ihre Beiträge innerhalb des Kantones bzw. der Gemeinde und damit in welche Aufwertung diese fliessen, jedenfalls nicht über Kantonsgrenzen hinaus, oder gar Röstigrenzen.

Für sinnvolle Vergleiche mit der Schweiz ist jedenfalls eine umfassende Kenntnis nicht nur der divergenten Raumplanungs- bis Steuergesetzgebung erforderlich, sondern auch eines anderen Verständnisses von Mitsprache und Eigentum, von schwyzerdytschen Raumplanungstermini bis Verfahren à la vorgängige Orientierung ganz zu schweigen.

Was könnten wir uns von der langjährigen Praxis der Schweiz mit dem Instrument der privatrechtlichen Vertragsraumordnung abkupfern, um im Planungsjargon zu bleiben?

Rechtssicherheit durch gesetzliche Klarheit bringt Gleichbehandlung von Projektwerbern und ermöglicht diesen Kalkulationssicherheit – und diese beiden Erfordernisse sind in Wien aber auch im angrenzenden Niederösterreich bis Vorarlberg noch ein längerer Weg, auch die Schweiz mit ihrem Rechtssystem braucht(e) Jahrzehnte.

Wenn nicht die Schweiz – taugt Ihrer Meinung nach Deutschland als Vorbild für das Instrument unserer Städtebaulichen Verträge?

Um diese Frage zu beantworten, muss ich auch hier mit grundlegenden Unterschiede in den Raumplanungsrechten beginnen, denn ohne Juristen ist das Leben der Raumplaner und Immobilienentwickler ja doch nur halb so spannend.

Deutschland hat ebenso wie die Schweiz einen bundeseinheitlichen rechtlichen Rahmen für die Vertragsraumordnung, also das Instrument von privatrechtlichen Verträgen, die dort seit 1990 nach 2 Vorläufergesetzen schließlich 1998 im Baugesetzbuch des Bundes verankert wurden, genannt „Städtebauliche Verträge“ im §11 BauBG und daher möglicherweise auch die Übernahme des Begriffes in Wien.

Anders als die Verpflichtung in der Schweiz zur mindestens 20%igen Mehrwertabschöpfung ist die Vertragsraumordnung in Deutschland, respektive den Kommunen in den 16 Bundesländern, allerdings ex lege eine „Kann-Bestimmung“:

„… die Gemeinde kann städtebauliche Verträge zur Durchführung städtebaulicher Maßnahmen auf Kosten der Vertragspartner schließen …“ wobei die Förderung und Sicherung von Zielen der Bauleitplanung oder Folgekosten beispielsweise für energetische Qualität von Gebäuden angeführt ist.

Mehrere deutsche Kommunen haben auf dieser Basis höchst unterschiedliche Modelle entwickelt, München mit dem vergleichsweise bekannten Modell der Sozialen Bodennutzung SoBon, begonnen in den 90-er Jahren.

Berlin hingegen seit 2015 samt einer korrigierenden sogenannten Synopse 2017 mit dem vergleichsweise sehr jungen Modell der kooperativen Baulandentwicklung inklusive Berechnungstool nach Flächenarten samt Umrechnungsfaktoren und Kostensätzen sowie einer Angemessenheitsprüfung.

Hamburg hingegen hat für Mitte Altona in jahrelanger Zusammenarbeit mit den Liegenschaftseigentümern und unter Einbindung der Bevölkerung für die Entwicklung eines Stadtteiles ein stadtplanerisches entstandenes jedoch juristisch gesehen privatrechtliches Vertragswerk erstellt und empfiehlt diese Erfahrung zu Prozessen, Inhalten, Berechnungsmodellen etc. als Vorlage für die Entwicklung des z.B. für die aktuelle Entwicklung des Holsten Quartieres – als eine Art Präzedenzvertragsmodell aus einer Quartiersentwicklung für die nächste, „learning by Verhandling“.

Der Schuldenstand von Berlin und Hamburg ist übrigens ein vielfacher von Wien – sollte meine Meinung nach bei vergleichenden Diskussionen über Instrumente von Infrastrukturkostenanteilen zumindest mitschwingen, und bei „wer schneller war“.

Die 3 genannten deutschen Beispiele in ihren Detailen zu erläutern, untereinander und dann auch noch mit Wien zu vergleichen wäre ein mehrtägiges Interview, lohnenswert zwar, aber ich denke die Andeutung der Verschiedenartigkeit sollte genügen um nachzuweisen, dass sich DAS Modell für Städtebauliche Verträge in Deutschland auch 20 Jahre nach Gesetzeswerdung nicht etablieren konnte – und ich warne nochmals vor „kurzen“ Vergleichen.

Deshalb vielleicht nur andeutungsweise zum „jungen“ Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung, wie es im vollständigen Titel heißt, und das derzeit in Wien meines Erachtens nicht nur aufgrund des vergleichbaren Status „rasant wachsende Hauptstadt“ in verschiedensten Diskussionen als DAS VORBILDMODELL fuer Wien auftaucht.

Vorweg: die Historien der Städte selbst als auch die konkreten Stadtplanungen von Berlin und Wien sind nicht vergleichbar, wie auch nicht die Mentalitäten. Dazu kommen neben den vorher angedeuteten unterschiedlichen Rechtsgrundlagen auch nicht vergleichbare Richtlinien z.B. für förderbaren Wohnbau, der im Berechnungstool zum Berliner Modell und damit den Grundlagen zu den privatrechtlichen Verträgen auf 20 Jahre und mit max. 2.500 €/m2 Wohnfläche bei einem inkludierten Grundstückskostenanteil von 500 €/m2 Wohnfläche für mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnraum einzupreisen ist. Ebenso sei als ein Beispiel zu Unterschieden von Herstellungskosten der Preis von 60 €/m2 für objektbezogenen urbanen privaten als auch öffentlichen Grünraum im deskriptiven Teil des Berliner Modells erwähnt.

Hingegen würde ich gerne zur Nachahmung das veröffentlichte einseitige – und damit ist nur die Beschreibung auf einem einzigen Blatt gemeint – Ablaufschema empfehlen. Für alle Vertragsparteien verbindliche Prozessdefinition als Grundlage für Verträge respektive deren Verhandlungen haben sich auch im Bauprojektmanagement bestens bewährt und sind nicht mehr wegzudenken, wie dadurch auch ein Bausteinchen zu Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes erfüllt wird.

Meines Wissens fehlen im diesem Berliner Ablaufschema allerdings Fristen, die im Sinne des Metazieles der Städtebaulichen Verträge als Instrument der Erhöhung der Baulandmobilität die berüchtigten St. Nimmerleinstage bei Verhandlungen eingrenzen sollten – nicht zuetzt da sowohl die realistischen Einpreisungen von Verzinsung der Liegenschaften als auch mögliche Exitstrategien wesentliche Elemente von Immobilienentwicklungen sind.

Zum Abschluss eine mahnende Binsenweisheit zu den Wirkungen der Kosten aus Städtebaulichen Verträgen: was die Schweiz, Deutschland und Österreich zum Thema Vertragsraumordnung jedenfalls verbindet ist letztendlich der Grundsatz, dass Zusatzkosten aus Planungen oder Bauherstellung ebenso wie zusätzliche Verzinsungen aufgrund von Entwicklungs-, Verhandlungs- oder Bauzeitverzögerungen zu einem nicht unbeachtlichen Teil letztendlich von den Mietern oder Käufern (mit)zutragen sind, gleich ob „der Nutzer“ eine Bewohner oder im Falle eines forward purchase ein Investor ist.

Städtebauliche Verträge und die Novelle der Bauordnung in Wien – Teil I

Städtebauliche Verträge und die Novelle der Bauordnung in Wien – Teil II

Bei der GBB Green & Blue Building Conference wird dieses Thema weiter vertieft werden, melden Sie sich bitte hier an.

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