Krisenbewältigung für Unternehmen und Führungskräfte

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Resilienz war eines der Buzz-Words der letzten Jahre. Krisen- und Notfallpläne haben wir erarbeitet, Prozessbeschreibungen liegen bereit und aus den letzten Wirtschaftseinbrüchen haben wir viel gelernt. Und schon zeigt uns die Corona-Krise, wie viel wir nicht bedacht haben, worauf wir unvorbereitet sind und, dass gesundheitliches Risiko wirtschaftliche Interessen in den Hintergrund drängt.

Unternehmensleitung und Führungskräfte müssen nun ohne ausreichende Informationen schnell und weitreichend entscheiden, persönliche Ängste und Stimmungen unter Kontrolle halten. Unangenehme Tatsachen müssen kommuniziert werden, Kontrolle fällt weg und Motivation muss ohne persönlichen Kontakt geschafft werden.

Im Interview gibt Gudrun Ghezzo Tipps, um aus der Schockstarre zu kommen, analysiert die Relevanz von Krisen- und Notfallplänen und mach sich Gedanken über den Umgang mit MitarbeiterInnen in der aktuellen Situation.

Wann ist für ein Unternehmen eine Krise eigentlich eine Krise?

Gudrun: Sicher nicht nur, wenn die Öffentlichkeit eine ausruft… Obwohl es dann schon wahrscheinlicher ist, dass viele Unternehmen davon betroffen sind. Ich würde es mal so definieren: Immer dann, wenn das, was eintritt, sich massiv von dem unterscheidet, womit man gerechnet hätte. Und das kann sowohl in die „positive“ als auch in die „negative“ Richtung gehen. Jedes Unternehmen plant aufgrund von Forecasts, woher auch immer diese kommen. Wenn der Plan dann absolut nicht funktioniert und kurzfristig ein neuer geschaffen werden muss, ist das eine Krisensituation.

Resilienz in Unternehmen war in den letzten Jahren fast ein Modethema in der Beratung. Wie schätzt Du sind große, kleine und mittlere Unternehmen auf diese Krise vorbereitet?

Gudrun: Durch die Bank schlecht… Resilienz war zwar sicherlich ein Trend und sollte es auch weiterhin bleiben, weil wir das ganz dringend brauchen, ABER: Diese Aktivitäten und Ansätze haben sich zunächst auf Menschen, auf Individuen, bestenfalls noch auf kleine Teams bezogen. Das hilft jetzt dabei, sich nicht so schnell aus der Bahn werfen zu lassen. Es sind jetzt gerade die Führungskräfte, die Kraft und Zuversicht ausstrahlen, die sich in guten Zeiten mit ihren Teams um Resilienz, Zusammenhalt und Schlagkraft gekümmert haben. Die Antworten, die nun dennoch fehlen, betreffen die gesamte Organisation: Wie wird ein Unternehmen resilient – aber dazu bräuchte es ganz andere Organisationsformen: Ein Businessplan, die strategischen Ziele und die umgesetzte Strategie müssten gleich mehrere Szenarien behandeln. Ich habe noch kein einziges Unternehmen gesehen, dass „Resilienz“ zum strategischen Ziel erhoben hat und sich dazu konkrete Schritte überlegt: Szenarienabhängige Prozesse und Teams, ja, sogar ganze Organisationsstrukturen, … und auch die entsprechenden Kooperationen. Und spätestens da wird es schwierig…

Krisen- und Notfallpläne sind wichtig. Aber abgesehen davon, dass viele Unternehmen diese eher außer Acht gelassen haben, sind sie selten so spezifisch, dass sie in völliger Klarheit umzusetzen sind. Was können sie leisten? Wie relevant sind sie in der Praxis?

Schon. Insbesondere Notfallpläne sind ja für manche Branchen regelrecht verpflichtend, und haben auch für die Bewältigung eines eintretenden Notfalls absolut Berechtigung. Wir dürfen nicht vergessen, dass schwerwiegende Ereignisse, die von heute auf morgen schlagend werden, die Menschen und die gesamte Organisation in eine Art Schockzustand versetzen; und die rationale Handlungsfähigkeit ist möglicherweise eingeschränkt. Ich habe das selbst in der Finanzbranche einmal erlebt, wie gut ein solcher Plan funktionieren kann: Innerhalb von 24 Stunden sind Büros zu Call Centern umgebaut, gibt es ein eigenes Kommunikationsteam, ein eigenes Entscheidungsteam, ein eigenes Kundenteam, etc.

Für Krisenpläne ist es schon schwieriger: Auch diese werden oft auf konkrete Ereignisse aufgesetzt, wenn aber etwas anderes eintritt, muss man stark adaptieren oder den Plan neu machen. Was ich hier weitgehend vermisse, sind GRUNDSÄTZE fürs Krisenmanagement. Nahezu jedes Unternehmen hat Grundsätze, also Prinzipien, wie sie Qualität, Kundenorientierung, Mitarbeiterführung etc. umsetzen. Aber für Krisen fehlen diese Prinzipien weitgehend, und wären aber schon eine äußerst hilfreiche Leitplanke.

Wir kommen aus einer Phase, wo MitarbeiterInnen sich den Arbeitgeber aussuchen konnten und gehen in eine Phase, wo es wahrscheinlich viel Arbeitslosigkeit gibt. Gelten jetzt andere Regeln für Mitarbeiterführung?

Gudrun: Nein, das denke ich nicht. Aus Sicht der Unternehmerinnen und Unternehmer ist vielleicht die Auswahl derzeit größer als noch vor einem Jahr, aber die Führungsmentalität wird weiterhin sehr mitarbeiterorientiert bleiben. Das glaube ich deshalb, weil das gemeinsame Gestalten, das gemeinsame Erreichen der Unternehmensziele weiterhin der Spirit bleiben wird, und sich nicht wieder ausschließlich in die Führungsetage zurückziehen wird. Daher braucht jedes Unternehmen weiterhin ein schlagkräftiges, kompetentes und hoch motiviertes Team. Genau diesen Spirit erleben wir jetzt, wenn wir mit HR-Verantwortlichen reden.

Demokratie ist in Krisenzeiten immer gefährdet. Sollte man in solchen Situationen als Führungspersönlichkeit eher das Zepter in die Hand nehmen oder das Gemeinsame in den Vordergrund stellen?

Gudrun: Beides: Heute, im Mai 2020 muss das Zepter längst wieder weggelegt worden sein. Aber zu Beginn, denken wir beispielsweise an Mitte März, muss eine Führungskraft definitiv klarere und deutlichere „Ansagen“ machen. Das können wir vergleichen mit einem Einsatzteam bei einem schweren Unfall oder einem großen Brand. Um das Schlimmste zu überstehen, müssen Führungskräfte in kürzeren Intervallen Entscheidungen treffen und umsetzen. Danach, so wie wir heute dastehen, sind wir mehr oder weniger „angekommen“ in der neuen Situation, die zweifelsohne äußerst komplex ist, und genau da braucht es dann wieder das Gemeinsame. Komplexen Situationen begegnet man nun mal am besten dadurch, dass man viele Perspektiven mit einbezieht. Und immer müssen wir als Führungskräfte Leuchttürme bleiben.

Entscheidungen sollten ja immer auf Daten basieren und genau die fehlen derzeit. Wie kann man seine eigenen Entscheidungen sinnvoll begründen?

Da muss jeder bei sich selbst anfangen: Als Führungskraft brauche ich ein breiteres Repertoire, als immer „nur“ auf einer klaren Datenbasis entscheiden zu können. Wenn ich mich äußerst unwohl damit fühle, auf Basis von Vermutungen und Unsicherheit zu entscheiden, hab‘ ich in der jetzigen Situation echt eine harte Zeit, und die Menschen, die ich führe, erst recht. Als Führungskraft muss ich in allen Situationen entscheidungsfähig bleiben … das kann auch bedeuten, dass ich die Entscheidung abgebe. Um die Entscheidungen zu begründen, und damit auch nachvollziehbar zu machen für alle, die sie mittragen müssen, sind 2 Dinge besonders wichtig: Ich muss mich erklären, auf welcher Basis ich die Entscheidung getroffen habe. Und ich muss erklären, wie haltbar diese Entscheidung ist, oder besser: wie vage, wie unsicher. Und zu sagen „Es tut mir leid, da habe ich eine falsche Entscheidung getroffen“ macht uns nur menschlicher und gewinnender!

Wir, die wir heute in der Arbeitswelt stehen, haben schon diverse Krisen mitgemacht. 2000, 2008. Was haben die Unternehmen damals gelernt und was bringt diese Erfahrung heute?

Gudrun: WIR schon, Alexander, aber wir sind längst nicht mehr alle… Zunächst ist zu sagen, dass die meisten Menschen, die seit 10 Jahren im Beruf stehen, genau das nicht mitgemacht haben. Seit über einer Dekade erleben wir permanentes Wachstum, Rekorde, Höhenflüge ohne Ende – zumindest in Europa auf Sicht der gesamten Wirtschaft. Und was haben wir gelernt? Wir haben gelernt, dass es immer auch ein „danach“ gibt. Und warum sollte das nicht auch wieder rosig werden? Wir haben gelernt, dass Mut, Entschlossenheit, Hoffnung, Durchhaltevermögen wichtige Tugenden sind. Wir haben gelernt, dass wir strategische Ziele manchmal überschätzen. Mit einem Wort, wir haben gelernt, wieder aufzustehen, in welcher Art auch immer. Vielleicht hilft es uns nicht, genau das gleiche zu tun, wie wir damals gemacht haben. Es ist die Haltung und das Vertrauen, mit der wir nun an die Krisenbewältigung rangehen, die uns hilft.

Gudrun Ghezzo ist international tätige Unternehmensberaterin mit Erfahrungen in verschiedensten Branchen. Sie ist gefragte Moderatorin und Coach. Gudrun gilt als Expertin in Sachen Strategie-, Organisations- und Führungskräfteentwicklung.

 

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