Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft brauchen Transparenz und Flexibilität – auch in der Vergabe

von

Portraitfoto von Martin Schiefer, Schiefer Rechtsanwälte
Martin Schiefer, Schiefer Rechtsanwälte

Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff. Gerade bei öffentlichen Aufträgen braucht es deswegen Transparenz und Objektivierung. Das Vergaberecht ist dazu ein brauchbares Mittel und auch flexibel genug, um für gesetzliche, wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Neuerungen und Erkenntnisse Spielraum zu haben. Das meint Vergabeexperte Martin Schiefer. Im Interview analysiert er das Vergaberecht auch aus dem Blickwinkel der Digitalisierung und der Kreislaufwirtschaft.

Ghezzo: EU-Taxonomie, Green Deal und Klimaschutz sollen das Blatt wenden und die Klimaerwärmung stoppen. Welche Rolle spielt dabei das Vergaberecht?

Schiefer: Das Vergaberecht ist ein starkes Steuerungstool. Es kann in viele Richtungen eingesetzt werden: zum Beispiel, um Regionalität zu fördern, oder kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. So kann das Vergaberecht einen entscheidenden Beitrag für die Ökologisierung und Nachhaltigkeit leisten. In Ausschreibungskriterien kann all das festgehalten werden. Das bedeutet dann nicht nur, dass die öffentlichen Aufträge lenkend wirken, sondern der Bund, die Länder und Gemeinden haben ebenso eine Vorbildwirkung für die gesamte Wirtschaft. Der Impact und die Verantwortung, die mit öffentlichen Ausschreibungen erfolgen kann, können essenziell sein.

Ghezzo: Wie sollten sich Auftraggeber auf diese Themen einlassen? Welchen Rat gibst Du dazu?

Schiefer: Das Thema hat ohne Frage Priorität. Dennoch gilt es unterschiedliche Interessen abzuwägen und vor allem Nachhaltigkeit für sich und in einer Ausschreibung entsprechend zu definieren. Ich habe momentan den Eindruck, dass alles nachhaltig ist und jeder nachhaltig sein möchte. Nachhaltigkeit ist kein absoluter Begriff, sondern ein relativer – mit viel Interpretationsspielraum. Sind Erdbeeren im Dezember aus dem Glashaus aus der Oststeiermark nachhaltig?

Ghezzo: Wir erleben eine unglaubliche Flut an neuen technologischen Entwicklungen, die das Thema Nachhaltigkeit betreffen. Ist das Vergaberecht agil genug, um mit der Geschwindigkeit der Veränderung mithalten zu können?

Schiefer: Das Vergaberecht ist ein Meisterwerk an Agilität. Man muss nur wissen, wie man es einsetzt. Dieses Know-how ist entscheidend. Ausschreibungen im IT-Bereich sind für mich die Benchmark, wie Agilität zum Prinzip erhoben werden kann. Sie definieren nicht auf Punkt und Beistrich, sondern lassen den Spielraum, der nötig ist und passen sich an die spezifischen Gegebenheiten an.

Ghezzo: Eine sehr wichtige Grundlage für Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft ist das Thema BIM. Doch damit tun sich viele Auftraggeber und Auftragnehmer schwer. Etliche Unternehmen haben ihre BIM-Ambitionen wieder zurückgefahren und sind in einer abwartenden Position. Wo siehst Du die Probleme aus Vergabesicht und wie kann man damit umgehen?

Schiefer: BIM ist ein Meilenstein für die Bauwirtschaft. Mit BIM hält die Digitalisierung in eine Branche endlich Einzug, die technologisch hinterherhinkt. In Echtzeit den aktuellen Status zur Verfügung haben, bietet unglaubliche Vorteile für alle Beteiligten. Entscheidend ist, dass es genutzt wird. Ich verstehe allerdings nicht, dass BIM noch sehr verhalten eingesetzt wird. Mein Rat ist hier, den Anschluss nicht zu verpassen. Die neuen Technologien verändern sämtliche Branchen. Es wird für den künftigen Erfolg entscheidend sein, ob ich digitalisiert bin und die Technologien nutze oder nicht. Wer jetzt nicht digitalisiert, wird bald nicht mehr mithalten können.

Ghezzo: Vom Thema Kreislaufwirtschaft erwartet sich der Wirtschaftsstandort Europa viel. Resilienter, unabhängiger, sauberer soll alles werden. Welchen Stellenwert hat das Thema schon bei Deinen laufenden Projekten und wo geht die Reise hin?

Schiefer: Kreislaufwirtschaft ist eine der Antworten auf die Klimakrise. Damit ist der Stellenwert klar. Kreislaufwirtschaft bei öffentlichen Vergabeverfahren zu berücksichtigen, wird eine immer bedeutendere Rolle spielen. Die öffentliche Hand und ihre Entscheider können hier den Unterschied machen und die Kreislaufwirtschaft in den Fokus stellen. Zu beachten ist aber, dass Kreislaufwirtschaft kein Selbstzweck ist, sondern immer auch einen Nutzen und ein Geschäftsmodell haben muss.

Ghezzo: Welche Rolle hat dabei das Vergaberecht?

Schiefer: Das Vergaberecht kann, soll und muss als Lenkungsinstrument eingesetzt werden. Wenn „man“, das heißt die öffentliche Hand, es möchte, dann ist die Rolle, die das Vergaberecht übernehmen kann, bedeutend.

Schiefer: In Zeiten enormer Preissteigerungen z.B. bei Baustoffen gewinnt die Beschaffung noch mehr an Bedeutung. Wie erlebst Du die Situation und welche Handlungsempfehlungen kannst Du geben?

Ausschreibungen forcieren den Wettbewerb, Preisvergleiche helfen immer. Die stockende Supply Chain macht vielen Sorgen. Sie ist Preistreiber, der die Inflation antreibt und hemmt den Aufschwung bei aktuell steigender Nachfrage. Wir dürfen deswegen nicht in Panik verfallen, aber wir müssen uns der Problematik bewusst sein und nach Alternativen suchen.

Treffen Sie Martin Schiefer bei unserer 12 GBB Green & Blue Building Conference und bei der Konferenz KREISLAUFWIRTSCHAFT UND ESG CLOSE THE CIRCLE

Erfahren Sie mehr über Schiefer Rechtsanwälte

 

 

 

Zurück