Folgen der Krise für die Immobilienwirtschaft – Immobilienfachbeirat 2021

by Alexander Ghezzo

Traditionell setzen wir uns im Frühjahr mit führenden Köpfen der Immobilienbranche zusammen und sprechen über die Herausforderungen – seit letztem Jahr leider nur mehr online. Dieser Austausch ist wichtiger denn je – das bestätigen uns die Top-ManagerInnen – und entsprechend dicht und intensiv sind die Ergebnisse des Gesprächs. Mit dabei waren:

  • Florian Amlacher, Geschäftsführer Projektentwicklung AT, eyemaxx Real Estate Group
  • Stephan Barasits, Geschäftsführer, GMW Großmarkt Wien
  • Alexander Ghezzo
  • Gudrun Ghezzo
  • Alexander Kopecek, Vorstand, Wien 3420 Aspern Development AG
  • Andreas Köttl, CEO, value one holding AG
  • Eugen Otto, CEO, Otto Immobilien
  • Michael Pech, Vorstand, ÖSW AG
  • Roland Pichler, Managing Partner, DWK DIE WOHNKOMPANIE GmbH
  • Katrin Pohorsky, Ghezzo GmbH
  • Peter Christian Ulm, CEO, allora Immobilien
  • Stefan Wernhart, Geschäftsführer bei EHL Gewerbeimmobilien GmbH
  • Silvia Wustinger-Renezeder, Geschäftsführerin, 6B47 Wohnbauträger GmbH
  • Maxim Zhiganov, Co-Owner, CEO/CFO, WK-Development

Erkenntnisse aus einem Jahr Pandemie

„Wir fahren in dichtestem Nebel“ Peter Ulm

„Ein A380 Jumbo wird bis auf weiteres nicht mehr fliegen! Soziale Strukturen, wirtschaftliche Gefüge werden schnellstens zurückgefahren, Dinge passieren, die wir uns vor 2 Jahren nicht einmal hätten vorstellen können. Wir sind verletzbar und unvorbereitet auf globale Krisen.“, mit dieser Erkenntnis eröffnet Alexander Kopecek unseren virtuellen Immobilien-Fachbeirat. „Es ist eine unfaire Krise, die Menschen und Unternehmen trifft, die nichts dafür können, während andere davon profitieren.“, bringt es Eugen Otto auf

den Punkt. „Unterschiedliche Handicaps wurden verteilt und da gilt es solidarisch zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen.“

 

Eine „Schockstarre“ – so Stephan Barasits – habe uns im ersten Lockdown erwischt, doch es sei auch schön zu sehen, dass viele es geschafft haben, sich daraus zu lösen und innovative Lösungen anzugehen. Diese Offenheit für Neues ist essenziell zur Krisenbewältigung.

EHL Gewerbeimmobilien

Anpassungsfähigkeit und auch der Turbo in Richtung Digitalisierung haben dazu beigetragen, dass die Immobilienbranche das Jahr 2020 sehr gut überstanden hat, so Stefan Wernhart: „Aber wir fahren im Nebel.“ Dies bringt Maxim Zhiganov zu seinem Learning aus einem Jahr Pandemie: „Wir brauchen immer einen Plan B, sei es bei Digitalisierung, Outsourcing, oder Produkt-Flexibilität.“

Peter Ulm relativiert aber: „Wir sind noch lange nicht am Ende der Krise. Staatsverschuldung, Infektionszahlen und Wirtschaftsdaten werden uns noch lange beschäftigen und uns auch noch einen Plan C und D abverlangen.“ Das meint auch Roland Pichler, der sagt: „Unsere Branche hat alles bis jetzt noch gut überstanden, aber wir können noch nicht absehen, wo die Reise hingeht.“

Der Kontakt zu Kunden, zu Partnern und MitarbeiterInnen geht verloren. „Und die menschliche Komponente fehlt – im Verkauf und im Kontakt, auch wenn wir uns durch virtuelle Kommunikation behelfen können!“ berichtet Florian Amlacher. Die remote Verbindung zu den eigenen MitarbeiterInnen erschwert viel, doch sie zeigt auch, dass „gearbeitet wird, obwohl man sich dabei gegenseitig nicht sieht.“

Silvia Wustinger-Renezeder hat dies in Ihrem Unternehmen auch so wahrgenommen, auch wenn die Akzeptanz von Home Office individuell sehr unterschiedlich ist. Doch der Bedarf nach persönlichem Kontakt wird Büros weiterhin zu einer wichtigen Drehscheibe machen.

„Community ist mächtig: im Positiven wenn es um Begegnung und Zusammenhalt geht, und im Negativen, wenn wir uns Corona-Demos oder gar die Stürmung des Capitols anschauen.“, dieses Learning macht uns- so Andreas Köttl – bewusst, wie wertvoll der soziale Friede ist und dieses Bewusstsein sollte auch in unsere Arbeit einfließen, um diesen zu fördern. Michael Pech ergänzt noch: „Durch Austausch und Netzwerk haben wir die Krise gut bewältigt.“ Deswegen muss man dies jungen MitarbeiterInnen ermöglichen, die momentan diese Chance nur wenig haben, damit sie in Zukunft auch diese Möglichkeit haben. Stefan Wernhart hat schon jetzt das Problem, neue MitarbeiterInnen einzuschulen. Deswegen ist es wichtig Rahmen zu schaffen, die Sicherheit und Kontaktmöglichkeiten bieten.

Die großen Herausforderungen und Chancen

„Auch in der Krise ist Grund und Boden ein nicht vermehrbares Gut. Wir haben schmerzhaft erlebt, wie Grundstückspreise explodiert und gleichzeitig die Mieter verunsichert sind, so dass Mieterhöhungen kaum realisierbar sind“ Silvia Wustinger-Renezeder

  • Rarer Baugrund und hohe Preise

Die Situation für Developer ist herausfordernd: Grund- und Baupreise explodieren und Nutzer schauen noch intensiver darauf, ob sie sich hohe Mieten und m²-Preise leisten können.

„Gebäude bezahlen unsere Arbeit nicht – das tun die Menschen, die darin leben und arbeiten.“, konstatiert Alexander Kopecek. So meint auch Peter Ulm, dass die Immobilienwirtschaft nicht mehr nur für Investoren und Finanzmarkt produzieren darf, sondern wieder mehr für die Realwirtschaft und für die Menschen. Michael Pech bestätigt das und ergänzt: die Interessen der Anleger und die der Mieter gehen auseinander. Z.B.: Die Garcionerre ist tot. Viele Airbnb Wohnungen sind auf den Markt gekommen und somit ist der Bedarf nach Kleinwohnungen gedeckt. Und bei größeren Wohnungen ist die Leistbarkeit nicht mehr gegeben – zumindest im freifinanzierten Bereich. Aber Investoren sind immer noch stark daran interessiert.

Noch – so Roland Pichler – ist das Interesse zum Beispiel an Anlegewohnungen groß, wobei ‚Lage, Lage, Lage‘ wieder zu einem alles entscheidenden Kriterium geworden ist. Moderate Preise in guten Lagen, das ist die große Herausforderung. Der Speckgürtel von Wien ist in den letzten Jahren laut Wustinger-Renezeder sehr attraktiv geworden, sogar für Immobilienfonds. Stadt und Land am selben Fleck, das ist für Projekte wie die Seestadt eine spannende Chance, erlebt Alexander Kopecek.

Florian Amlacher ergänzt: „Also droht uns, dass es bald unrentabel wird, Grundstücke zu kaufen. Und dazu kommt, dass es für manche Produkte gar keine Finanzierung mehr gibt.“ Über Hotels beispielsweise weigern sich Banken überhaupt zu sprechen. Die Finanzierung ist auch eine der großen Herausforderungen für Maxim Zhiganov. Hier gilt es wieder das Vertrauen der Banken in den Markt und die Unternehmen herzustellen.

Für Bestandshalter wird die drohende Pleitewelle noch eine große Herausforderung und Leerstände mit sich bringen. Die große Dichte an Handelsimmobilien wird sich nicht behaupten können, sieht Stephan Barasits voraus. Schon jetzt stellt Eugen Otto das Sterben von Einkaufsstraßen fest, wo es wichtig ist, sich mit alternativen Nutzungen auseinanderzusetzen.

Stefan Wernhart sieht schon einen Nachfragerückgang im Gewerbe. Die Unplanbarkeit macht es den KMUs schwer, langfristige Entscheidungen zu treffen. Für Stefan ist es eine große Herausforderung, die Marktdynamik genau einzuschätzen, um dann für die Unternehmen da sein zu können, wenn sich die Schleusen wieder öffnen und eine Rückkehr zur Normalität möglich ist. Potential steckt in Umwidmungen und Umnutzungen. Raum für die neue Welt des Arbeitens zu bieten, ist eine Chance.

  • Leben und Arbeiten gemeinsam als neue Assetklasse

Leben und Arbeiten zusammenführen, das ist ein neues Produkt an dem alle arbeiten, zudem es aber kaum Regulative gibt, weder im Arbeitsrecht, noch im Bau- oder Gewerberecht, so Florian Amlacher. Dabei ist es längst an der Zeit, an diese Themen zu denken, betont Peter Ulm. Immerhin wollen wir alle die Stadt der kurzen Wege, weniger Verkehr und soziale Nachhaltigkeit – auch von der Pandemie unabhängig.

Michael Pech hat mit Kleinbüros in Wohnbauten keine guten Erfahrungen gemacht. Nun hat man das Konzept adaptiert und bietet Kleinstbüros mit geteilter Infrastruktur an. Dieses Konzept funktioniert, weil die Leistbarkeit gegeben ist.

Quartiere werden in Zukunft also anders angegangen werden müssen, sagt Silvia Wustinger-Renezeder. Unterschiedliche Nutzungen, Flexibilität, Freiräume –  was schon vor der Pandemie in Konzepten wie der produktiven Stadt umgesetzt wurde, gewinnt noch mehr an Bedeutung.

  • Leistbarkeit und Druck auf die Mieten

Eugen Otto sieht auch bei seinen MitarbeiterInnen die Notwendigkeit von Modellen des Co-Working und des Arbeitens in der Nähe des eigenen Zuhauses – im eigenen Grätzel. Doch vollkommen offen ist, was sich die Menschen in den nächsten Jahren wirklich noch leisten können. Denn noch haben viele Geld auf der hohen Kante. Wenn das knapp wird, werden viele Wohnung gänzlich unattraktiv. Also erwartet Eugen Otto einen Mietrückgang, bzw. – so Maxim Zhiganov – , das Ausbleiben von Käufern, weswegen er neue Assetklassen angeht und auch sein Marketingbudget erhöht.

„Dort wo ich Rechtsstreitigkeiten zwischen Vermieter und Mieter über Mietausfälle sehe, geht es in den seltensten Fällen um die Existenz beim Vermieter, wohl aber bei den Mietern, die nicht mehr weiterwissen. Eine unglaubliche Verschwendung von Zeit und Energie.“ Eugen Otto

  • Digitalisierung

Digitalisierung ist eine wichtige Herausforderung. In der Praxis bewegen sich Themen wie BIM nur schleppend weiter. Hier darf man die Entwicklung nicht verschlafen und muss vor allem die richtigen Leute im Team haben, meint Andreas Köttl. Auch in der Produktentwicklung muss die Digitalisierung mitgedacht werden. Florian Amlanger fordert auf: „Wir dürfen nicht erwarten, dass 5G zu uns kommt, sondern wir müssen es in unsere Immobilien holen.“ Aber auch in der Vermarktung ist Digitalisierung ein essenzieller Auftrag.

  • Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist eine Riesenchance. Michael Pech sieht Energieeffizienz, Energiespeicher usw. als Möglichkeit, innovativ und erfolgreich zu sein. Auch für die Finanzierung stellt Nachhaltigkeit einen Vorteil dar, da Banken solche Projekte bevorzugt behandeln. Wieder sind es die Kosten, die die Umsetzung erschweren. Holzbau wird sehr nachgefragt; PV wird teurer. Contracting-Lösung können zumindest Kalkulationssicherheit bieten. An ESG orientierte Finanzprodukte sind weitere Potentiale.

Antizyklische Investitionen sind durch Förderungen möglich, sagt Stephan Barasits. Alexander Kopecek fordert, dass Nachhaltigkeit deutlich stärker gefördert wird, damit sie trotz der Baupreis- und Grundstückspreisexplosion möglich wird.

Conclusio

Die Immobilienbranche hat aktuell den Vorteil, dass sie sehr gute Zeiten hinter sich hat. Schlanke Strukturen und gute Reserven machen es für sein Unternehmen leichter, durch die Krise zu kommen, sagt Roland Pichler. Aber die strukturellen Veränderungen und die Herausforderungen der Krise werden auch hier nicht spurlos vorüber gehen. Wie sehr wird die Wirtschaft tatsächlich leiden? Wann werden wir die Arbeitslosigkeit wieder im Griff haben? Wie gehen wir mit den sozialen und ökologischen Herausforderungen um?

Corona ist ein Katalysator für all die Probleme, für deren Klärung wir uns (zu) lange Zeit gelassen haben. Und gemeiner Weise schränkt es uns in dem ein, wie wir normalerweise am besten Probleme lösen, nämlich in der Möglichkeit des Austauschs und der Vernetzung.

Deshalb hoffen wir, unser Fachbeirat und die gesamte Branche darauf, dass wir uns bald wieder treffen können. Wir setzen dabei auf unseren Immobilientag am 5. Mai.

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