Zirkulär? Nur mit Beweis. Warum Kreislaufwirtschaft ohne Zertifizierung nicht funktioniert
Circular Economy ist in aller Munde aber wie überprüft man, ob ein Unternehmen wirklich zirkulär handelt? Welche Nachweise brauchen ESG-Berichte? Und wie lässt sich Bürokratie dabei auf ein handhabbares Maß bringen?
Tanja Rollett, Expertin für Nachhaltigkeit und Zertifizierungen bei TÜV SÜD, spricht im Interview über die Rolle unabhängiger Prüfungen, neue Bewertungsmaßstäbe für Second-Hand und ReUse und warum wir bis 2030 neue Standards brauchen, die heute noch nicht einmal am Radar sind.
Vincent Hahne: Kreislaufwirtschaft verlangt Transparenz. Welche Rolle spielen unabhängige Prüfungen und Zertifizierungen dabei?
Tanja Rollett: Transparenz ist eine zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, denn nur was nachvollziehbar und überprüfbar ist, kann auch glaubwürdig kommuniziert werden. Unabhängige Prüfungen durch Dritte, wie TÜV SÜD, schaffen genau diese Glaubwürdigkeit: Sie bewerten objektiv, ob Prozesse, Produkte und Umweltaussagen tatsächlich den Prinzipien gewisser Standards entsprechen. Darüber hinaus ermöglicht Transparenz, Unternehmen, Produkte und Prozesse miteinander zu vergleichen – und unterstützt Verbraucher sowie Geschäftspartner bei fundierten Entscheidungen.
Vincent Hahne: Greenwashing-Vorwürfe nehmen zu. Wie kann TÜV SÜD Unternehmen helfen, glaubwürdig zu bleiben?
Tanja Rollett: Leider kommt es immer wieder zu Fällen von Greenwashing – sei es aus Unwissenheit, weil Unternehmen die rechtlichen Anforderungen und Nachweispflichten nicht kennen, oder weil sie sich bewusst nachhaltiger darstellen wollen, als sie tatsächlich sind. Manchmal fehlt auch die objektive Sicht auf die eigenen Prozesse. Die EmpCo-Richtlinie und die Green Claims-Richtlinie zeigen deutlich, wohin die Reise geht: Umweltaussagen müssen künftig durch unabhängige Dritte überprüft werden – etwa durch Verifizierungen oder Zertifizierungen. Genau hier setzt TÜV SÜD an. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Umweltaussagen transparent, nachvollziehbar und rechtskonform zu gestalten. Das stärkt nicht nur die Glaubwürdigkeit gegenüber Stakeholdern, sondern auch die Rechtssicherheit im Umgang mit regulatorischen Anforderungen.
Vincent Hahne: Viele Unternehmen klagen über Bürokratie. Wie gelingt es, regulatorische Anforderungen in handhabbare Lösungen zu übersetzen?
Tanja Rollett: Wir erleben täglich, wie regulatorische Anforderungen Unternehmen herausfordern. Häufig fehlen klar definierte Vorgehensweisen, konkrete Umsetzungshilfen oder branchenspezifische Interpretationen. Das führt zu Unsicherheit, Mehraufwand und im schlimmsten Fall zu Fehlentscheidungen.
Als unabhängige dritte Partei versuchen wir diese Lücke zu schließen, indem wir strukturierte, verständliche und umsetzbare Prozesse definieren. Durch klare Leitlinien, Checklisten und bewährte Verfahren schaffen wir Orientierung – gerade dort, wo gesetzliche Vorgaben Interpretationsspielraum lassen.
Vincent Hahne: Was ist für Sie der größte Hebel, um Kreislaufwirtschaft in Österreichs Industrie schneller zu skalieren?
Tanja Rollett: Wir müssen die Kreislaufwirtschaft für Unternehmen konkret und umsetzbar machen. Wenn wir es schaffen, klare Standards, nachvollziehbare Bewertungskriterien und definierte Vorgehensweisen zu etablieren, entsteht Orientierung und Vertrauen. Unternehmen wissen dann, worauf sie hinarbeiten können. Das beschleunigt Entscheidungen und erleichtert Investitionen in zirkuläre Geschäftsmodelle.
Vincent Hahne: Wie unterscheiden sich die Anforderungen an Kreislaufwirtschaft in Industriebranchen wie Bau, Chemie oder Lebensmittel?
Tanja Rollett: Jede Branche bringt eigene Herausforderungen mit. Deshalb braucht es branchenspezifische Ansätze und dementsprechende Standards. In der Bauindustrie stehen Materialtrennung, Wiederverwendung und Recycling im Fokus, während in der Chemieindustrie geschlossene Stoffkreisläufe und die sichere Rückführung von Rohstoffen zentral sind. Die Lebensmittelindustrie wiederum muss Verpackungskreisläufe mit hohen Hygiene- und Sicherheitsstandards vereinen. Hinzu kommen unterschiedliche regulatorische Anforderungen, technologische Voraussetzungen und Marktmechanismen, die den Umgang mit Ressourcen beeinflussen. Um Kreislaufwirtschaft wirksam umzusetzen, braucht es daher nicht nur technische Lösungen, sondern auch klare Rahmenbedingungen.
Vincent Hahne: Welche Rolle spielt TÜV SÜD, wenn es darum geht, internationale Standards nach Österreich zu bringen?
Tanja Rollett: TÜV SÜD ist weltweit an über 1.000 Standorten aktiv und dadurch eng mit internationalen Entwicklungen vernetzt. Diese globale Präsenz ermöglicht es uns, neue Standards frühzeitig zu erkennen und deren praktische Relevanz für Unternehmen in Österreich zu bewerten. Gerade im Bereich der Kreislaufwirtschaft ist das entscheidend: Denn um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen an globale Märkte und Anforderungen angebunden sein.
Vincent Hahne: Sehen Sie schon heute Best Practices in Österreich, die Vorbild für andere Märkte sein könnten?
Tanja Rollett: Ja, es gibt etliche Unternehmen in Österreich, die Kreislaufwirtschaft aktiv und bewusst in die Praxis umsetzen. Besonders dort, wo Unternehmen Kreislaufwirtschaft nicht nur als Umweltmaßnahme, sondern als strategischen Bestandteil ihres Geschäftsmodells verstehen, etwa durch Verleihmodelle, Second-Hand-Angebote, Reparaturservices oder den Einsatz von Recyclingmaterialien in unterschiedlichsten Branchen.
Die Innovationsbereitschaft ist hoch, und viele Unternehmen gehen mutig voran. Gleichzeitig beobachten wir aber auch, dass die Umsetzung, z.B. der Einsatz von Recyclingmaterial, mit mehr Aufwand verbunden ist. Deshalb brauchen solche Lösungen eine gezielte Unterstützung, klare Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Anreize, um sie marktfähig zu machen.
Tanja Rollett führte für den TÜV SÜD einen spannenden Vortrag auf der Close the Circle am 09.10.2025. Seien Sie nächstes Jahr mit dabei!
