VIENNA ONE: Wie ein Projekt zur Blaupause nachhaltiger Sanierung wurde

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In einem unscheinbaren Industriegebäude aus den 1960er Jahren, einst Herzstück der Wiener Mikroskop-Produktion, vollzieht sich eine Transformation. Wo früher der Metallstaub der Maschinen in der Luft lag, forschen und entwickeln heute internationale Biowissenschaftler an den Fragen der Zukunft. Das Projekt VIENNA ONE ist mehr als eine bloße Gebäudesanierung. Es geht darum, Neues und Bestehendes miteinander zu verbinden.

Unter der Leitung der Architektinnen Rita Reisinger und Doris Kutscher von Reisinger Kutscher wurde das ehemalige Leica Microsystems-Gebäude zu einem hochmodernen Life-Science-Zentrum umgestaltet. Ein Neubau stand für die Danaher Corporation, Mutterkonzern von Leica Microsystems und weltweit führend im Bereich Biowissenschaften, nie zur Debatte – die bestehende Bausubstanz in Wien Hernals bot die ideale Grundlage für eine ressourcenschonende Neugestaltung.

Im Gespräch mit Alexander Ghezzo spricht Rita Reisinger darüber, was das Projekt für sie auszeichnet und warum Nachhaltigkeit dabei eine zentrale Rolle spielt.

Alexander Ghezzo: „Was ist das Besondere an Ihrem Projekt?“

Rita Reisinger: Das Projekt VIENNA ONE, im ehemaligen Leica Microsystems-Gebäude in Wien Hernals, vereint Nachhaltigkeit und Innovation in moderner Arbeitsumgebung. Anstelle eines Neubaus wurde das Gebäude aus den 1960er Jahren umfassend und umweltbewusst saniert und in ein Life-Science-Zentrum umgewandelt. Diese Sanierung reduziert die CO-Emissionen um 40% und setzt ein Zeichen für ökologische Verantwortung, während die Tradition des Standorts erhalten bleibt.

Besonders hervorzuheben ist die flexible Bauweise: Die offene Skelettstruktur ermöglichte eine Raumgestaltung, die sich optimal an die Bedürfnisse verschiedener Unternehmen anpasst. Große Fensterflächen, Holz- und Glaselemente schaffen ein angenehmes Arbeitsklima. Technologische Investitionen wie außenliegender Sonnenschutz, eine Photovoltaikanlage und E-Ladestationen stärken das umweltfreundliche Profil des Gebäudes. Zudem macht ein Showroom im Erdgeschoss die Life Sciences für die Öffentlichkeit zugänglich und schafft eine Plattform für Austausch und Kommunikation.

Alexander Ghezzo: „Welche Extra-Meile sind Sie gegangen und was können andere von Ihrem Projekt lernen?“

Rita Reisinger: Nachhaltiges Bauen beginnt mit einer präzisen Bestandserhebung, lange bevor der Bau startet. Im Projekt VIENNA ONE wurde die bestehende Bausubstanz detailliert analysiert – durch Sichtung der Bauakte und umfangreiche Vor-Ort-Untersuchungen. Diese Schritte gaben uns wertvolle Informationen zu Statik, Bauphysik und anderen entscheidenden Faktoren.

Die präzise Vermessung des Gebäudes ermöglichte eine flexible und zielgerichtete Planung, die sich an die Gegebenheiten des Bestands anpasste. Eine umfassende Bestandsanalyse minimiert unvorhergesehene Überraschungen und gibt eine verlässliche Basis für nachhaltige Entscheidungen. Die Investition in diesen gründlichen Prozess hat die Planung sicherer, effizienter und ressourcenschonender gestaltet und zeigt, dass ein solider Start der Schlüssel für ein zukunftsfähiges Bauprojekt ist.


Rita Reisinger und Doris Kutscher, Foto: Nuno Oliveira

 

Alexander Ghezzo: Welche Dimensionen der EU-Taxonomie wurden umgesetzt?

Rita Reisinger: Im Rahmen des Projekts VIENNA ONE haben wir mehrere Dimensionen der EU-Taxonomie erfolgreich integriert. Zum Schutz des Klimas setzten wir auf energieeffiziente Sanierungstechniken, die CO₂-Emissionen erheblich reduzieren. Gleichzeitig fördert die flexible Bauweise die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel, indem sie zukünftige Veränderungen berücksichtigt. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft wird durch die Nutzung und Aufwertung bestehender Bausubstanz vorangetrieben, was Abfall minimiert und Ressourcen schont. Zudem tragen technologische Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung bei und stärken das nachhaltige Profil des Projekts.

Alexander Ghezzo: Wie bringen Sie Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit in Einklang?“

Rita Reisinger: Als Planerinnen mit Schwerpunkt auf nachhaltigen Sanierungen kombinieren wir Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz durch gezielte Strategien. Sanierungen nutzen die bestehende Bausubstanz, sparen Ressourcen und sind dadurch von Natur aus nachhaltiger als Neubauten.

Eine gründliche Bestandsaufnahme ist der Schlüssel, um die bestehende Substanz bestmöglich zu nutzen und Materialkosten zu reduzieren. Dabei lege ich großen Wert auf den Einsatz regionaler, umweltfreundlicher und wiederverwendbarer Materialien wie Recycling-Beton oder Naturdämmstoffe. Diese reduzieren Transportwege und CO₂-Emissionen erheblich.

Durch moderne Dämmung, energieeffiziente Haustechnik und erneuerbare Energien senke ich nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die langfristigen Betriebskosten. Flexible Planungen sind für mich essenziell, um sicherzustellen, dass sich ein Gebäude kostengünstig und zukunftssicher an neue Anforderungen anpassen lässt. Zudem berücksichtige ich die Lebenszykluskosten, um den wirtschaftlichen Nutzen über die gesamte Betriebsdauer hinweg zu maximieren.

Darüber hinaus nutze ich gezielt Fördermöglichkeiten für nachhaltige Sanierungen, was nicht nur die Investitionskosten senkt, sondern auch umweltfreundliche Bauweisen aktiv unterstützt. Mein Ansatz schafft nicht nur ökonomische Vorteile, sondern steigert auch den Nutzerkomfort und den langfristigen Wert einer Immobilie. Nachhaltigkeit ist für mich ein ganzheitlicher Gewinn – für Umwelt, Wirtschaft und Menschen.

Alexander Ghezzo: „Welche nächsten Leuchtturmprojekte haben Sie im Fokus?“

Rita Reisinger: Wir sind nun seit ca. 25 Jahren in der Sanierung von Bestandsobjekten tätig. Die gute Nachricht ist: Es gibt noch genug zu tun und wir hoffen, bald wieder für ein Unternehmen ein Gebäude so umfassend revitalisieren zu können, wie uns das bei VIENNA ONE möglich war.

Alexander Ghezzo: „Was braucht es für mehr Nachhaltigkeit in der Branche?“

Rita Reisinger: Um die Baubranche nachhaltiger zu gestalten, müssen Materialien ressourcenschonend und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft eingesetzt werden. Das bedeutet, regionale und recycelbare Baustoffe zu verwenden, die wiederverwendet werden können, anstatt auf ressourcenintensive Neuproduktionen zu setzen. Auch energieeffiziente Bauweisen und der Einsatz erneuerbarer Energien wie Solarenergie sind essenziell, um den Energiebedarf von Gebäuden langfristig zu senken.

Ein weiterer wichtiger Hebel ist die Förderung von Sanierungen statt Neubauten. Indem bestehende Gebäude modernisiert werden, lässt sich die vorhandene Bausubstanz nutzen und wertvolle Ressourcen werden gespart. Digitalisierung und das Denken in Lebenszyklen ermöglichen zudem eine effiziente Planung, die die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes berücksichtigt und Abfall sowie Emissionen minimiert. Gesetzliche Anreize und der Einsatz schadstofffreier Materialien tragen dazu bei, dass nachhaltige Bauprojekte wirtschaftlich attraktiver werden und gesündere Lebensräume schaffen.

Wenn wir als Branche bereit sind umzudenken, können wir echte Veränderungen bewirken. Nachhaltige Entscheidungen schaffen Gebäude, die die Umwelt schonen und zukünftige Generationen inspirieren. Diese Chance sollten wir nutzen.

Wir freuen uns, dass das Projekt Vienna One beim diesjährigen GBB Award eingereicht wurde.

 

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