Science Fiction Autorin Theresa Hannig: Wir sind unserem baulichen Umfeld ausgeliefert

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Der viel zitierte Blick über den Tellerrand darf auch mal ein Blick in eine utopische Zukunft sein. Science Fiction war schon immer Ideengeber für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft – und umgekehrt. So haben sich Apple Designer an Philipp K- Dicks Werken orientiert, börsennotierte Unternehmen beschäftigen SF-Agenturen um Innovationen zu begründen und selbstverständlich orientiert sich die Rüstung an den kreativen Ideen von Hollywood-Drehbuch-Autoren.

Theresa Hannig ist eine moderne Science Fiction Autorin, die sich den aktuellen Themen und deren Potentialen und Konsequenzen für die Zukunft widmet. Mit jeder Menge eigenen Erfahrungen in Stadtplanung, IT Systemen und als gelernte Politikwissenschafterin und Philosophin wagt sie sich an Utopien für eine positive Zukunft. Diese haben den Science Fiction Fan Alexander Ghezzo so begeistert, dass er die Schriftstellerin nach Wien zur GBB Green & Blue Building Conference eingeladen hat.

Zur Einstimmung gibt es hier ein Interview mit der erfolgreichen Autorin, in dem es auch nachhaltige Immobilien und Stadtentwicklung geht.

Alexander Ghezzo: Als Autorin setzen Sie sich viel mit aktuellen Themen der Wirtschaft und Gesellschaft auseinander, z.B. Fachkräftemangel und KI (die Optimierer), Lieferketten und Verteilungsfairness (Pantopia). Geht es für Sie dabei auch um Bewusstseinsbildung?

Theresa Hannig: Auf jeden Fall! Das Tolle an Geschichten ist, dass sie so viele verschiedene Inhalte gleichzeitig transportieren können. Natürlich muss eine Geschichte zu allererst unterhalten, sonst würde sie niemand lesen. Aber ich als Autorin kann die Figuren erschaffen, die bestimmte Abenteuer erleben oder Konflikte austragen. Ich kann den Rahmen für das vorgeben, was innerhalb der Geschichte als normal oder als besonders gilt, und davon ausgehend neue Gedanken anstoßen.

Alexander Ghezzo: Experimentieren Sie dabei mit Ihren persönlichen Wertevorstellungen? Ändern diese sich dann vielleicht auch im Zuge von Recherche und bei zu Ende denken einer Story?

Theresa Hannig: Ich fange meine Bücher meist mit einem festen Set von Wertvorstellungen an und versuche diese dann im Laufe der Geschichte durchzudiskutieren, zu beweisen oder zu widerlegen. Das geschieht oft in Dialogen, die die Figuren miteinander führen. Und auch wenn ich meine eigene Position einer Figur in den Mund lege und die Gegenposition von einer anderen Figur vertreten lasse, merke ich manchmal, dass sich solche Streitgespräche anders entwickeln, als geplant. Dadurch entsteht auch für mich ein tieferes Verständnis für die Gegenseite und die Komplexität des Themas.

Alexander Ghezzo: Wie entstand die Idee, Pantopia zu schreiben?

Theresa Hannig: Im Jahr 2019 war ich an einem persönlichen Tiefpunkt angelangt. Ich hatte mich schon eine ganze Weile mit der Klimakatastrophe beschäftigt und große Hoffnung ist die von Fridays for Future initiierten Demonstrationen gesetzt. Leider ist von alledem nicht viel übrig geblieben. In dieser Zeit – kurz vor Corona – suchte ich nach einer Lösung, einem Helden, einer Geschichte, die die Welt und natürlich auch mich persönlich aufbauen konnte. Leider fand ich nichts. Ich durchforstete mein Bücherregal und die Veröffentlichungen meiner Kolleg*innen und stellte fest: Alles nur Dystopien, Weltuntergangsszenarien und schlimme Geschichten. Wenn ich also eine positive Vision wollte, musste ich sie selber schreiben.

Ich hatte mich bereits im Studium viel mit Politischer Theorie, Internationalen Beziehungen und Geldpolitik beschäftigt und zunächst sogar eine Karriere an der Uni in Betracht gezogen. Schlussendlich wechselte ich dann aber doch in die Wirtschaft, weil ich den vielen Politischen Theorien nicht neues hinzuzufügen hatte.

Was mir zunächst wie ein Mangel erschien, wurde 2019 zur zündenden Idee für Pantopia. Denn bei der Diskrepanz zwischen wünschenswerter und realer Politik ist es wie bei der Klimakrise: Wir scheitern nicht etwa, weil wir keine guten Lösungen haben, sondern weil wir die existierenden Lösungsvorschläge nicht ernst nehmen! Und genau das habe ich in Pantopia gemacht. Die KI Einbug fungiert in meinem Roman wie ein Katalysator, der dafür sorgt, dass die bereits existierenden guten Ideen umgesetzt werden und nicht auf halbem Weg an Gier, Eigeninteressen oder Inkompetenz scheitern. Deshalb ist Pantopia ein in vielfacher Hinsicht hoffnungsvolles Buch: Es nutzt bestehende Konzepte und Ideen und zeigt, wie sie zum Wohle aller erfolgreich umgesetzt werden können.

Alexander Ghezzo: Sie haben Politikwissenschaft und Philosophie studiert, in der Wirtschaft gearbeitet, sind in der Kommunalpolitik tätig und schreiben Science Fiction. Viele Erfahrungswelten mit Widersprüchen und Synergien und sicher auch Inspiration für die Autorin. Macht Sie das eher zur Optimistin, oder zur Pessimistin, ob der vielen Ernüchterungen?

Theresa Hannig: Ich sage gerne, dass ich Berufsoptimistin bin, weil ich in meinen Texten dezidiert positive Entwicklungen beschreibe. Ich glaube, dass es enorm wichtig ist, sich bewusst für positive Zukunftsentwürfe zu entscheiden, weil wir aus Gewohnheit und Sensationslust schnell in negative Szenarien abdriften.
Privat merke ich, dass mich die Nachrichten über die weltpolitische Lage oder globale Katastrophen wie Klimakrise und Artensterben sehr beunruhigen. Es gibt leider viele Gründe pessimistisch zu sein. Denn angesichts der weltweiten Probleme bin ich als Einzelperson bedeutungslos und ohnmächtig. Hier hilft es mir dann, den Fokus anders zu setzen. Ich überlege, was ich in meinem Wirkungskreis erreichen kann, und stecke mir überschaubare Ziele. Das bedeutet für mich, Geschichten zu schreiben, um Menschen zu motivieren und Hoffnung zu machen, mich für Frauen einzusetzen und mich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Ich kann die Welt nicht allein retten – aber das muss ich auch nicht. Wenn jeder Mensch seine Verantwortung ernst nimmt und einen Beitrag leistet, können wir die Welt Stück für Stück besser machen.

Alexander Ghezzo: Von der SAP Beraterin zur gefeierten Science Fiction Autorin: Wie war dieser Weg für Sie? Haben Sie Tipps für Jungautor*innen und Quereinsteiger*innen in der Literatur?

Theresa Hannig: Ich bin im Mitgliederausschuss des Phantastik-Autor*innen-Netzwerks PAN und sehe in dieser Funktion eine Menge Biographien unserer zukünftigen Mitglieder. Darin gibt es eine Gemeinsamkeit, die fast alle teilen: Sie schreiben schon seit ihrer Kindheit. So war das auch bei mir. Das Schreiben hat mich schon mein Leben lang begleitet – zunächst nur als Freizeitbeschäftigung, heute als Hauptberuf. Aber immer war klar, dass es ein sehr wichtiger Teil meines Lebens ist. Über die Umwege, die ich genommen habe, bin ich sehr froh, denn durch sie konnte ich viele unterschiedlicher Erfahrungen sammeln, die mir beim Schreiben zugutekommen. Mein Tipp für Jungautor*innen und Quereinsteiger*innen wäre demensprechend: Schreib so viel zu kannst und so viel du willst. Schreib für dich und nicht für irgendein Publikum oder einen Verlag. Schreib über Themen, für die du dich begeisterst. Wenn du deinen eigenen Text nach dem 10. Mal Lesen (und Korrigieren) noch gut findest, ist es Zeit, einen Verlag (wenn du bei einem Kleinverlag veröffentlichen willst) oder eine Agentur (wenn du bei einem großen Publikumsverlag veröffentlichen willst) zu suchen. Schau dich nach Unterstützer*innen um; werde Teil eines Netzwerks; komm zu Autor*innentreffen; besuche die einschlägigen Messen. Dann wirst du schnell feststellen, ob das Schreiben und das Drum Herum etwas für dich sind. Außerdem solltest du dir und deinem Werk gegenüber nachsichtig sein. Schreiben lernt man durch Schreiben. Oder wie Ernest Hemingway so wunderbar sagte: The first draft of everything is shit.

Theresa Hannig, Science Fiction Autorin

Alexander Ghezzo: Welche Werke und Autor*innen sind für Sie die wichtigsten Einflüsse gewesen?

Theresa Hannig: In meiner Jugend:

  • Douglas Adams: The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy
  • Terry Pratchett: Scheibenwelt Romane
  • Michael Ende: Die Unendliche Geschichte
  • Stephen King: The Stand
  • Neil Gaiman: The Sandman Comic Series

In letzter Zeit:

  • Ursula K. Le Guin: The Dispossessed, The Left Hand of Darkness, The Telling, The World for World is Forest
  • Liu Cixin: Trisolaris Trilogie
  • N.K. Jemisin: Broken Earth Trilogy
  • Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt
  • Kim Stanley Robinson: The Ministry for the Future

Alexander Ghezzo: Bei der GBB geht es um Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche. Viele Klassiker des Science Fiction haben mit der Immobilie zu tun und sind mittlerweile von der Realität eingeholt: Immobilien Science-Fiction: Auf der Suche nach Innovation in „alten Geschichten“ (ghezzo.at) Welche Visionen haben Sie denn für Gebäude und die Immobilienbranche der Zukunft?

Theresa Hannig: Seit einigen Jahren bin ich Mitglied im städtischen Planungs- und Bauausschuss und bin dort mit Immobilienfragen, Bauanträgen und innovativen Verkehrs- und Stadtentwicklungskonzepten beschäftigt. Im Ausschuss geht es mir oft nicht schnell genug. Ich sehe, wie nachhaltige, moderne Konzepte abgelehnt werden, weil sie sich nicht „einfügen“ oder weil sie Fuß- und Radverkehr zugunsten von Autos bevorzugen – was vielen älteren Stadtratsmitgliedern nicht gefällt. Aber ich liebe diese Entwürfe: Die Kombination unterschiedlicher Nutzungsarten und die vielfältige Gestaltung von Quartieren, sodass die Lebenswirklichkeit von alten und jungen Menschen, Singles und Familien barrierefrei mitgedacht wird. Ich bin z.B. ein Fan der Integration von Kindertagesstätten und Seniorenwohnen, die über gemeinsame Kantinen und Aufenthaltsräume verbunden sind. Außerdem schätze ich die Rückbesinnung auf alte traditionsreiche Materiealien wie Lehm oder Holz, die nachhaltig und zudem gut fürs Hausklima sind. Interessant finde ich die Frage, wie wir mit altem Bestand umgehen, in den bereits eine Menge graue Energie geflossen ist, der aber weder dämmteschnisch, noch ästhetisch den heutigen Anforderungen entspricht. Hier freue ich mich immer über architektonische Lösungen, die alt und neu Verbinden und einen Mehrwert schaffen, anstatt das Alte einfach abzureißen und zu hoffen, dass sich der CO2 Verbrauch eines Neubaus schon irgendwann amortisiert.

Wir alle wissen, wie sehr die Lebensumgebung das Wohlbefinden beeinflusst. Aufgrund der Langlebigkeit von Architektur sind Menschen ihrem baulichen Umfeld quasi ausgeliefert. Wenn ich auf Lesereise unterwegs bin, fällt mir immer wieder auf, wie unterschiedlich die Lebensqualität in unterschiedlichen Städten alleine aufgrund der Bebauung ist. Deshalb finde ich es sehr wichtig, dass Architektur und Städtebau das Leben der Menschen verbessern.

Treffen Sie Theresa Hannig persönlich am 21. November 2024 bei der 15. GBB Green & Blue Building Conference

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