Rechtssicherheit im Kreis – Was Unternehmen jetzt über Kreislaufwirtschaft wissen müssen

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Kreislaufwirtschaft kommt und mit ihr ein ganzer Strauß neuer Rechtsvorgaben: von der Ökodesign-Verordnung über die Green Claims Directive bis zur Lieferkettenrichtlinie. Doch statt Überforderung braucht es Orientierung. Im Interview mit Schiefer Rechtsanwälte sprechen wir über den Wandel vom Reporting zur Resilienz, warum Jurist*innen nicht mehr nur Risiken absichern, sondern neue Geschäftsmodelle mitdenken müssen und welche „Wunschregelung“ dem Thema jetzt richtig Schub geben würde.

Vincent Hahne: Welche rechtlichen Entwicklungen sind für Unternehmen aktuell besonders wich-tig, wenn sie auf Kreislaufwirtschaft setzen wollen?

Martin Schiefer: Ökodesign-VO mit Digitalem Produktpass (DPP), die Green Claims-Regelungen und die entstehende EU-Lieferketten-Richtlinie bilden den Rahmen für resiliente, regionale Wertschöpfung. Unternehmen, die jetzt Materialpässe, Rücknahme- und Refurbish-Prozesse sowie Second-Life-Konzepte pilotieren, schaffen Rechts- und Finanzierungssicherheit. In der Beschaffung gewinnen Lebenszykluskosten, Reparierbarkeit und Re-Use-Quoten als Zuschlagskriterien an Bedeutung. Wer diese Anforderungen früh in Produkte und Verträge integriert, wird zum bevorzugten Partner von öffentlicher Hand und Banken.

Vincent Hahne: EU-Green-Deal, Lieferkettengesetz, ESG: Wie sollten Unternehmen sich vorberei-ten, um rechtssicher zu bleiben?

Martin Schiefer: Zentral ist ein schlankes ESG-Risk-House: Materialitätsanalyse, Lieferanten-Screening, Abhilfemechanismen, alles digital nachvollziehbar. Verankern Sie regionale Sourcing-Strategien und Dual-Sourcing für kritische Komponenten, um Resilienz zu erhöhen. Richten Sie Ihre Finanzierung an grünen KPI aus (grüne Kredite und grüne Anleihen) und verbinden Sie Covenants mit Kreislauf-Zielen. Schaffen Sie vergabereife Nachweise (DPP, Audit-Trails), damit Sie in BVergG-Vergaben punkten.

Vincent Hahne: Viele fürchten, dass rechtliche Vorgaben zu bürokratisch werden. Wo sehen Sie echte Vereinfachungen und Chancen?

Martin Schiefer: Der Digitale Produktpass reduziert Medienbrüche: Einmal dokumentieren, mehrfach nutzen und zwar für Vergabe, Finanzierung und Vertrieb. Standardisierte Lieferketten-Checks und Branchen-Tools senken Aufwand und erhöhen Rechtssicherheit. Regionale Partnerschaften verkürzen Audits und Transportwege und stärken Resilienz. Wer früh standardisiert, gewinnt Ausschreibungen und Zugang zu günstigeren grünen Finanzierungen.

Vincent Hahne: Wie kann Vergaberecht Kreislaufwirtschaft fördern? Welche Praxisbeispiele sehen Sie bereits?

Martin Schiefer: Das BVergG erlaubt klare Zuschlagskriterien: Lebenszykluskosten, Reparierbarkeit, Rezyklat-Anteile, regionale Wertschöpfung und Lieferketten-Resilienz. Öffentliche Auftraggeber fordern zB bereits laufend Ersatzteil-Verfügbarkeit, modulare Bauweisen oder Rücknahmepflichten ein. Rahmenverträge mit Performance-KPI (zB Ausfallzeiten, Rücklaufquoten) schaffen planbare Märkte für Re-Use und Remanufacturing.

Vincent Hahne: Green Claims Directive: Was bedeutet sie für die Kommunikation von Unternehmen in Österreich?

Martin Schiefer: „Grün“ muss belegbar werden: Klare Nachweise, Lebenszyklus-Bezug, geprüfte Methodik. Das ist eine Chance, sich mit harten Fakten von Greenwashing abzuheben und in Vergaben Vertrauen aufzubauen. Der DPP wird zum Kommunikations-Rückgrat für Produkteigenschaften. Wer Marketing, Recht und Daten früh verzahnt, gewinnt Kunden, Behörden und bessere Finanzierungskonditionen.

Vincent Hahne: Wie sehen Sie die Balance zwischen Regulierung und Innovationsfreiheit für Unternehmen?

Martin Schiefer: Die neuen Regeln setzen Leitplanken, nicht Handschellen: Sie definieren Ziele (Resilienz, Zirkularität), lassen aber Spielraum für Wege dorthin. Innovationsfreundlich sind technologieoffene Kriterien und leistungsbasierte Vergaben. Regionale Pilotprojekte mit Reallabor-Charakter zeigen, wie pragmatisch Umsetzung gelingt. Finanzierung flankiert das Ganze: Banken honorieren messbare, risikoarme Kreislaufmodelle.

Vincent Hahne: Was würden Sie sich von der Politik wünschen, damit Kreislaufwirtschaft schneller in die Umsetzung kommt?

Martin Schiefer: Mehr „Europe-/Austria-First“ in kritischen Lieferketten durch klare Regionalitäts-Kriterien in Vergaben. Skalierbare Reallabore mit Standardverträgen, damit Kommunen und Unternehmen rasch star-ten können. Steuerliche Anreize für Reparatur, Remanufacturing und Rezyklate sowie beschleunigte Genehmigungen für Kreislauf-Infrastruktur. Öffentliche Banken sollten grüne Finanzierungen mit Zinsvorteilen an belastbare Kreislauf-KPI koppeln.

Vincent Hahne: Welche Haftungsfragen entstehen für Unternehmen, wenn sie Produkte oder Materialien im Kreislauf halten?

Martin Schiefer: Zentrale Punkte sind Produkthaftung nach Refurbish/Remanufacturing, Informations- und Sorgfaltspflichten entlang der Kette sowie Gewährleistung bei Second-Life. Lösung: Klare Rollen (Hersteller/Refurbisher), Prüf- und Freigabeprozesse, dokumentierte Rückverfolgbarkeit über DPP. Vertraglich helfen Haftungs-Korridore, Qualitätsschwellen, Versicherungslösungen und differenzierte Gewährleistungsmodelle. So bleibt das Risiko kalkulierbar und kann angemessen gesteuert werden.

Vincent Hahne: Wie verändert sich das Wettbewerbsrecht durch die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeitskooperationen und Allianzen?

Martin Schiefer: Gemeinsame Standards (zB Rezyklat-Qualitäten) können Effizienz heben und Lieferketten stabilisieren. Unternehmen sollten „Safe-Harbor“-Kriterien beachten: offene Teilnahme, keine Preisabsprachen, klare Governance. So entsteht ein Level-Playing-Field und Innovationsdynamik, ohne wettbewerbsrechtliche Bedenken.

Vincent Hahne: Gibt es aus Ihrer Sicht Rechtsbereiche, die aktuell noch zu wenig Beachtung in der Kreislaufwirtschaft finden (z. B. Steuerrecht)?

Martin Schiefer: Ja: Steuerrecht (Begünstigungen für Reparatur/Remanufacturing), Bilanzierung von zirkulären Assets und Versicherungsrecht für Second-Life-Risiken. Auch Kredit- und Sicherheitenrecht bei Performance-basierten Service-Modellen braucht mehr Klarheit. Kommunales Abfall-/Rohstoffrecht sollte „Abfall zu Produkt“ schneller ermöglichen. Außerdem das ewige Thema „Abfallende“-Begriff, das endlich gelöst gehört. Schließlich die grundlegende Frage, was Kreislaufwirtschaft überhaupt ist: Die Taxonomie-VO bietet einen sehr technischen, komplizierten Rahmen, der vereinfacht und praxisorientierter gehört.

Vincent Hahne: Wenn Sie einen „Wunschparagrafen“ schreiben könnten: Welche Regelung würden Sie sofort einführen, um Kreislaufwirtschaft zu stärken?

Martin Schiefer: Eine Bestimmung, die regionale Wertschöpfungsanteile, Lieferkettenresilienz und zirkuläres Produktdesign in öffentlichen Ausschreibungen zur Verpflichtung erhebt. Diese Punkte gehören im Rahmen einer sorgfältigen Ausschreibung aus unserer Sicht ohnehin schon jetzt abgefragt, damit sichergestellt ist, dass der Auftraggeber auch tatsächlich das beste (und nicht nur das billigste) Produkt erhält.

Martin Schiefer und Schiefer Rechtsanwälte waren am 09.10 auf der Close the Circle. Seien auch Sie 2026 dabei, wenn wir der Kreislaufwirtschaft eine Bühne geben!

 

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