Nachhaltig im sozialen Wohnbau: Essbare Stadt, erneuerbare Energie und smartes Monitoring
Nachhaltigkeit im großvolumigen sozialen Wohnbau? Gerade darin steckt ein enormes Potential und gerade hier sind die Herausforderungen in Bezug auf die Kosten sehr hoch. Die Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft „Neues Leben“ hat sich diesen gestellt und ein beeindruckendes Projekt zum GBB Award eingereicht. Das MGG²² ist damit unter die Top 3 Einreichungen gekommen. Kein Wunder: immerhin steckt jede Menge Innovation und Umsicht in dem Projekt – vom Energiekonzept bis zum Monitoring im Betrieb. Die Anlage hilft also nicht nur der Stadt bei der Erreichung der Klimaziele, sondern macht es den Bewohnern auch leichter mit den Folgen des Klimawandels zu leben. Genauer beschreibt es Siegfried Igler, Leiter der Technik, im Interview.
Autor: Alexander Ghezzo
Ghezzo: Im Wohnquartier MGG²² haben Sie einen deutlichen Schwerpunkt in Sachen Nachhaltigkeit gesetzt. Was sind die wichtigsten Merkmale dieser Wohnanlage?
Igler: Ein innovatives Energiekonzept der Beheizung und Kühlung über Technik der thermischen Bauteilaktivierung von Geschoßdecken aus Stahlbeton. Die thermische Energie für Bauteilaktivierung und Warmwassererzeugung wird über Wärmepumpen generiert, welche mit Strom aus Windkraftanlagen betrieben werden und die thermische Energie über ein Sondenfeld von rund 40 Erdsonden mit bis zu 150m Tiefe beziehen.
Ebenso erfolgt die Stromversorgung sämtlicher Allgemeinbereiche (Konditionierung, Beleuchtung …) über Strom aus Windkraft. Somit stammt die zur Verwendung gelangte Energie zu 100% aus erneuerbaren Energieträgern. Die Gebäude an sich entsprechen dem Niedrigenergiehaus-Standard. Die Gestaltung der Freiräume entstand unter dem Motto „essbare Stadt“. Die Erschließungswege werden von Flussschotter-Flächen begleitet, welche zu einem maßgeblichen Anteil aus früchtetragenden Pflanzen und Kräutern bestehen und gleichzeitig einen Sichtschutz zu den privaten Bereichen der Wohnungen darstellen. 4 innerhalb der Anlage situierte Quartiersplätze sind mit Obstbäumen bepflanzt.
Es gibt einen zentral gelegenen Gemeinschaftsraum mit inkludierter Küche, welcher die Möglichkeit bietet, die in der Anlage geernteten Früchte und Gewürze in geselliger Runde zu verarbeiten und zu genießen. Ergänzt wird das Freiraumkonzept durch eine direkt angrenzende Gemeinschaftsgartenanlage, welche über einen Trägerverein organisiert werden soll, der sich aktuell in Gründung befindet. Unsere Intention bestand darin, ein aus energetischer uns sozialorganisatorischer Sicht nachhaltiges Projekt umzusetzen.
Ghezzo: Leistbar vs. Nachhaltig: Wie viel kostet es mehr nachhaltig zu bauen und wie sind Sie mit den Kosten umgegangen?
Igler: Die höheren Herstellkosten haben sich dank einiger zusätzlicher Förderungsmitteln und planerischen Unterstützungen im überschaubaren Rahmen gehalten. Vielmehr liegt die Nachhaltigkeit neben der Verwendung erneuerbarer Energie in den um mindesten 2/3 reduzierten Betriebskosten für Heizung welche zu 100% den Bewohnern der Anlage zu Gute kommt. Um durch Zählerinstallation und –Ablesung bedingte Fixkosten zu vermeiden, wurde auf Wärmemengenzähler verzichtet und die Heizkosten werden entsprechend der beheizten Wohnnutzfläche aufgeteilt. Neben den geringeren Energiekosten profitieren die Bewohner von der Möglichkeit einer unterstützenden Kühlung im Sommer (nicht zu verwechseln mit einer Vollklimatisierung), welche in Kombination mit einer außenliegenden Beschattung der Wohnraumfenster beste Voraussetzungen bietet, eine sommerliche Überwärmung während der heißen Jahreszeit zu reduzieren.
Ghezzo: Was waren die großen Herausforderungen bei der Umsetzung?
Igler: Neben den höheren Herstellkosten galt es u.a. auch, eine größere Anzahl an erforderlichen behördlichen Bewilligungen bei den unterschiedlichen Magistratsabteilungen zu erwirken (wasserrechtliche und naturschutzrechtliche Bewilligungen). Auch die Entscheidungsfindung, die Umsetzung eines Pilotprojektes zu beschließen, welches auf keine Erfahrungswerte im großvolumigen Wohnbau zurückgreifen konnte, stellte eine grundlegenden Herausforderung dar.
Ghezzo: Ein wichtiger Aspekt ist das Monitoring des Gebäudes im Betrieb. Wo erwarten Sie Optimierungspotential zu finden?
Igler: Optimierungspotential erwarten wir uns z.B. für: Umfangreichere Untergrunderkundung zur Optimierung der Sondenfelder zielführend (Kostenersparnis, Anzahl bzw- Ergiebigkeit der Sonden) Wäre es vorteilhaft, die Technik der BTA mit einer kontrollierten Wohnraumlüftung oder anderen erneuerbaren Energieträgern (Photovoltaik, Solarthermie) zu kombinieren? Sind aus der Gebäudegeometrie Rückschlüsse auf die Effizienz der BTA abzuleiten?
Ghezzo: Klimakrise: Wo sind die Herausforderungen für den Wohnbau?
Igler: Zukünftige Herausforderung wird die sommerliche Überwärmung der Wohnungen sein. Wird es reichen lediglich die bis dato geltenden Vorschriften zur sommerlichen Überwärmung einzuhalten? Wird es notwendig sein zusätzliche technische Einrichtungen gegen sommerliche Überwärmung anzudenken? Und wenn ja mit wieviel und welchem Energieaufwand? Die Fragen der Zukunft.
Ghezzo: Sie haben viel Forschungs- und Entwicklungsaufwand für dieses Projekt auf sich genommen. Wie geht es denn weiter? Werden Sie weiter in diese Richtung arbeiten?
Igler: Vorrangig gilt es, die Daten aus dem Monitoring zu sammeln und für zukünftige Projekte zu nutzen. Wir befassen uns allerdings bereits mit weiteren zukunftsweisenden Projekten unter Verwendung der BTA. Es gibt aktuell Überlegungen, mit welchen Bauweisen neben Beton die BTA noch kombiniert werden könnte (Ziegel, Holz?)
Mehr über Smart im Wohnbau gibt es auf der nächsten Digitalize Bau+Immo 4.0