Wohnen in Wien: Auswirkungen der Bauordnungsnovelle und Chancen von Mixed Use Konzepten

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Dr. Silvia Wustinger-Renezeder ist Geschäftsführerin der 6B47 Wohnbauträger GmbH. Bei ihren Wohnbauprojekten setzt sie sich intensiv mit den aktuellen und künftigen Anforderungen der Menschen auseinander. Bei der Entwicklung von freifinanziertem leistbarem Wohnraum setzt sie auf Mixed Use Konzepte, also die Kombination von Arbeit, Wohnen, Logistik, Ausbildung, Sport- und Erholungsraum. Im Interview teilt Frau Dr. Wustinger-Renezeder ihre Meinung zur Novelle der Bauordnung, berichtet über die Initiative ‚Produktive Stadt‘ und vergleicht Wien mit anderen deutschsprachigen Städten.

Ghezzo: Wie erleben Sie die Nachfrage am Wiener Wohnungsmarkt? Spüren Sie eine Abkühlung oder bleibt die Nachfrage ungebrochen hoch?

Wustinger-Renezeder: Die Nachfrage möchte ich in 2 Segmente teilen. Im Mietwohnbau ist die Nachfrage im leistbaren Bereich weiterhin sehr hoch. Nicht nur bei den Mietern – sondern auch bei den Investoren. Der Mietwohnungsmarkt in Wien wird zunehmend auch für internationale institutionelle Investoren interessant. Aber auch Stiftungen und Family Offices sind weiter an einer nachhaltigen Kapitalanlage interessiert. Bei den Eigentumswohnungen sehe ich auch 2 Segmente. Innerhalb des Gürtels steigen die Preise weiterhin an. Außerhalb des Gürtels und besonders in den Flächenbezirken sehe ich, auf Grund des großen Angebots, eher eine Stagnation der derzeitigen Preise.

Ghezzo: Was sind für Sie die wichtigsten Trends beim Wohnen, denen Bauträger Rechnung tragen sollten?

Wustinger-Renezeder: Der Trend geht zu immer kompakteren Wohnungen, da sich die Kunden in den Ballungsräumen sonst die Wohnkosten nicht mehr leisten können. Um dennoch den Bewohnern eine gute Lebensqualität biete zu können müssen die Wohnhausanlage mehr allgemeine Freiräume und Community Einrichtungen bieten. Dem sollten die Bauträger bei kommenden Projekten Rechnung tragen.

Ghezzo: Was erwarten Sie für Konsequenzen aus der Bauordnungsnovelle?

Wustinger-Renezeder: Die Bauordnungsnovelle wird im Bereich des Bestandes, der vor 1945 errichtet wurde, sicher eine Veränderung bringen. Abbruch und Neubau wird als Option entfallen. Ich nehme daher an, dass wir noch mehr Revitalisierungen und Wohnungseigentumsbegründungen im Althausbereich sehen werden. Im Bereich der Umwidmungsliegenschaften erleben wir einen rasanten Preisanstieg bei den Liegenschaften mit einer gültigen Wohnwidmung. Auf der anderen Seite ist der Markt für Bauhoffnungsland etwas moderater geworden.

Ghezzo: Finden Sie die Novelle gut gelungen?

Wustinger-Renezeder: Wie sich die Bauordnungsnovelle bewähren wird, werden wir in der tatsächlichen Praxis erfahren, ich finde daher den Vorschlag gut, in 5 Jahren die Novelle im Bereich der Widmung zu evaluieren. Ghezzo: Die Initiative ‚Produktive Stadt‘ zeigt die Wichtigkeit, neben ausreichend Wohnraum auch vielfältige Arbeitsräume und Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Wie kann das gelingen?

Wustinger-Renezeder: Die Produktive Stadt ist eine der besten Möglichkeiten mit der Ressource Boden verantwortungsvoller umzugehen.

Um dies erfolgreich umzusetzen müssen wir neue Baukörper entwickeln, die Übereinader bzw. ineinander verschränkt mehrere Nutzungen ermöglichen. Die Herausforderung dabei ist die Abgrenzung der verschiedenen Nutzungen zu einander – vom Erschließungskonzept bis zum Verwertungskonzept – alle Ideen müssen von dem gemeinsamen Miteinander bzw. Nebeneinander getragen werden.

Ghezzo: Was ist die Rolle der Immobilienwirtschaft dabei?

Wustinger-Renezeder: Die Immobilienwirtschaft wird dabei nicht nur als Projektentwickler oder Initiator gefordert sein – sondern auch nachhaltig auch im Liegenschaftsmanagement. Eine durchmischte Immobilie wird eine intensivere Betreuung durch ein Gebäude / Miet- und Facility Management benötigen.

Ghezzo: Wie werden denn in Zukunft die Erdgeschossflächen genutzt werden?

Wustinger-Renezeder: Die neue Mobilität wird den Straßenraum sehr verändern. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten 10 Jahren die Anzahl der Parkplätze im öffentlichen Raum im dicht verbauten Gebiet sehr stark zurück gehen wird.

Ich gehe auch davon aus, dass die Zahl der Bäume und Grünpflanzen im Bereich der Gehsteige und Parkspuren stark zunehmen wird um das Klima in den Städten zu verbessern. Damit wird der Erdgeschossbereich wieder viel attraktiver und von den Bewohnern wieder angeeignet. Ob für Büro – oder Wohn- oder Begegnungszwecke – die Flächen werden wieder angenommen, da auch der öffentliche oder halböffentliche Raum davor wieder attraktiver ist.

Anders verhält es sich mit den Handelsflächen – die werden weiterhin zurück gehen und besonders in Lagen ohne Frequenz verschwinden.

Ghezzo: Wie sehen Sie die praktischen Möglichkeiten von Mixed Use Nutzungen?

Wustinger-Renezeder: Mixed Use kann immer dann funktionieren, wenn die beiden Nutzungen einander nicht behindern, sondern vielmehr gegenseitig unterstützen. Hotels und hochwertige Apartments. Service Apartments und Studentenheim. Wohnen mit Nahversorgung – das sind Modelle der gelebten Praxis. Interessant wird es, wenn intensivere Nutzungen aufeinandertreffen werden.

Ghezzo: Worauf muss man dabei achten?

Wustinger-Renezeder: Dabei wird darauf zu achten sein, dass jeder Nutzer ohne wesentliche Einschränkungen seine Tätigkeit ausüben kann. Neben den behördlichen Vorschriften wird auch das gegenseitige Verständnis für die anderen Nutzung wichtig sein.

Ghezzo: Wenn Sie Wien mit anderen Standorten vergleichen, an denen 6B47 aktiv ist, wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede?

Wustinger-Renezeder: Im Vergleich zu unseren Standorten in München, Berlin und Düsseldorf ist das Preisniveau für die Wohnimmobilien im hochwertigen Segment in Wien doch noch niedriger. Dies gilt auch für die Einstandspreise und die Baukosten. Allen Märkten, auch in Polen, ist gemeinsam, dass die Bauwirtschaft derzeit extrem gut ausgelastet ist und daher die Preise stark gestiegen sind und die Unternehmen fast keine Kapazitäten für neue Aufträge haben.

Ghezzo: Sehen Sie die starke Positionierung von gefördertem und sozialen Wohnbau als positiv prägend oder markthemmend?

Wustinger-Renezeder: Im Vergleich zum Markt in den Ballungszentren von Deutschland, sehe ich den sozialen Wohnbau in Österreich immer als Faktor/ Garant für eine leistbare Wohnversorgung für eine breite Schicht der Bevölkerung.

Ich sehe den sozialen Wohnbau nicht als markthemmend sondern viel mehr als wesentliche Stütze für die einkommensschwachen Bevölkerungsteile. Getrennt davon ist der frei finanzierte Wohnungsneubau zu betrachten, der eine andere Kundenschichte anspricht und in den letzten Jahren auf Grund der hohen Nachfrage sehr stark gewachsen

Auf der best(and)IMMO#7 treffen Sie Frau Dr. Wustinger-Renezeder persönlich und erfahren Sie mehr Mixed Use:

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