Selbstorganisiert ohne hierarchische Führung – schaut so das Hotel der Zukunft aus?

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Agile, Scrum, Kanban, Holokratie – viele Management Ansätze fordern Selbstmanagement und Eigenverantwortung, um schnell und effizient auf die Anforderungen des Kunden und des Marktes reagieren zu können. Im Dienstleistungssektor und vor allem in der Hotellerie sind solche Ansätze jedoch kaum zu finden. Dabei könnten genau darin die Antworten auf einige der dringenden Herausforderungen der Hotellerie liegen, wo es um Fachkräftemangel, Burnout und die Begeisterung junger Menschen geht. Praktische Erfahrungen und neue Konzepte dazu kennt Sandra Gneist, früher selbst General-Managerin und Expertin in Sachen Organisationsentwicklung.

Autor: Alexander Ghezzo

Ghezzo: Selbstorganisation ist ein durch das Agile Management und Scrum schon durchaus etablierter Ansatz im Business. Aber wie kann so ein Ansatz im Service funktionieren? Was sind die Voraussetzungen?

Gneist: Ja, in vielen Branchen – allen Voran die IT, aus der diese Methoden ja kommen – ist das mittlerweile Alltag geworden. In der Dienstleistungsbranche ist man hier noch nicht so weit und man redet sich gerne darauf aus, dass man ja viele Dinge wie Arbeitszeiten, Öffnungszeiten, etc. nicht planen kann, da man ja vom Gast abhängig ist. Das stimmt natürlich insofern, als dass manche Methoden sehr strenge Vorgehensweisen haben, die man so Eins zu Eins natürlich nicht umsetzen kann in der Hotellerie. Das heißt aber nicht, dass man ein Hotel nicht selbstorganisiert führen kann! Man muss einfach aus allen Ansätzen, Methoden und Erfahrungen, das zusammenwürfeln, das das jeweilige Hotel braucht. Voraussetzung dafür ist das 100 %ige Kommitment der Geschäftsführung. Es muss eine Person geben, die die Macht hat alle Entscheidungen zu treffen und die diesen Change will.

Ghezzo: Welche Vorteile ergeben sich durch die Selbstorganisation? Warum sollte man das in seinem Betrieb wollen?

Gneist: Diese Frage kann man eigentlich mit einem Satz beantworten: weil wir teilweise immer noch mit Managementmethoden des letzten Jahrhunderts, versuchen auf die Anforderungen des heutigen Marktes Antworten zu finden. Zu Zeiten eines Käufermarktes und zu Zeiten, wo jeder einfach Arbeit brauchte, um Überleben zu können, war Hierarchie, klare Arbeitsaufgaben und Kontrollen wahrscheinlich das probateste Mittel. Heute sprechen wir von Generation X,Y,Z und wer weiß was noch kommt und davon, dass wir nicht wissen, was diese Generationen genau wollen, weil sie eben nicht mehr homogen sind, sondern individuell. Dann sollten wir sie auch individuell behandeln und das kann durch Selbstorganisation gelingen. Denn vom Fachkräftemangel kann die Hotellerie wohl ein Lied singen.

Ghezzo: Open Space Beta®? Was hat es damit auf sich?

Gneist: Beta als Gegenteil zu Alpha, sprich die hierarchische Struktur, in der der Alpha führt, wird abgelöst durch die Beta Organisation. Open Space ist das Design, dass diesen Prozess begleitet. Veranstaltungen zu der alle MitarbeiterInnen eingeladen sind und wo an der Organisation und nicht in der Organisation gearbeitet wird. Die Beta Organisation die entsteht, arbeitet dann in einer Zellstruktur und es können hier durchaus Ideen aus Scrum, Kanban, Holokratie, etc. Anwendung finden, je nach dem wie es auf das jeweilige Hotel passt. Unumgänglich aber sind die 12 Gesetzte des Beta Codex®. Diese begleiten dann auch die Organisation so lange sie besteht. Bei jeder Entscheidung ist zu prüfen ob sie den Gesetzen entspricht. Interessant ist die Methode deshalb, weil sie sehr rasch umgesetzt wird – in 90 Tagen ist der Prozess abgeschlossen – und, weil es eine Open Source Methode ist, das heißt frei verwendbar und nicht an irgendwelche Zertifizierungen oder Mitgliedschaften geknüpft.

Ghezzo: Welche Rolle spielen dann noch die Führungskräfte, oder gibt es diese auf Dauer nicht mehr?

Gneist: So wie auch in anderen Modellen gibt es natürlich nach wie vor Führungskräfte. Aber gerade in der Hotellerie ist es ja oft so, dass diejenigen Führungskräfte werden, die fachlich die Besten sind und nicht die, die am besten Mitarbeiter führen können. Davon müssen wir weg. Auch von diesen starren Stellenbeschreibungen hin zu „Individualbeschreibungen“. Ghezzo: Was macht es mit den MitarbeiterInnen, wenn sie nicht mehr klassisch geführt werden?

Gneist: Wenn ein Unternehmen so einen radikalen Wandel eingeht, passiert da ganz viel. Vor allem bei den Open Space Veranstaltungen, aber auch dazwischen, wenn die erarbeiteten Dinge ausprobiert werden, geht schon oft die Post ab. Und ja, so ehrlich muss man sein, es gibt auch immer wieder welche, die das Unternehmen verlassen. Auch oft weil der Teamdruck zu groß wird, wenn einer – so wie das in hierarchisch geführten Unternehmen ja gut möglich ist – sich „durchschummelt“. Das wussten meist eh schon alle, aber plötzlich ist es nicht mehr das Problem vom Chef, sondern „unser“ Problem. Und da gibt es Konsequenzen.

Ghezzo: Ist das ein Ansatz, mit dem man auch in bestehende Teams und Organisationen einstiegen kann, oder braucht es einen tiefgehenden Reset?

Gneist: Ich kann durchaus verstehen, wenn jemand sagt: Puh diese ganze Nummer ist mir zu groß und wenn das mal rollt, kann ich ja nicht mehr zurück. Man kann es auch klein angehen und sich ein Thema herausnehmen (Arbeitszeitflexibilisierung beispielsweise) und das mal mit dem Setting Open Space bearbeiten. Wichtig ist aber auch hier, dass die Geschäftsführung es ernst meint und auch ehrlich durchzieht. Das heißt, wenn ich für ein einzelnes Thema meine Mitarbeiter ermächtigen möchte, etwas zu schaffen, dann muss ich das dann auch umsetzen lassen. Wenn ich dann sage, das sind je nette Ideen, aber machen tun wir es so, wie ich es sage, hat das keinen Wert. Aber auf diese Weise kann ich mein Team mit einigen Themen langsam an das Thema Selbstorganisation heranführen und wenn ich als Hotelier dann glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, kann ich immer noch sagen, jetzt stellen wir ganz um. Das hat den Vorteil, dass die Methode schon bekannt ist und die MitarbeiterInnen schon ein wenig gewöhnt sind an Selbstorganisation in abgesteckten Bereichen. Es dauert aber natürlich länger -je nachdem wie viele Einzelthemen ich mir heraussuche. Die 90 Tage, die man sonst für die Umstellung eines Hotels von hierarchisch geführt auf Selbstorganisation mittels open Space Beta ® benötigt, sind aber so keinesfalls möglich.

Ghezzo: Gibt es praktische Beispiele, an denen man sich orientieren kann?

Gneist: Im DACH Raum sind sicherlich Bodo Janssen – Eigentümer der Upstalsboom-Kette aber auch Klaus Kobjoll, Eigentümer des Schindlerhofs bei Nürnberg zu nennen. Beide sind autodidaktisch ihren Weg gegangen und haben auf Grund sehr unterschiedlicher Erfahrungen, jeder eine eigene, aber für das jeweilige Hotel Passende, Art der Selbstführung gefunden. Diese beiden sind relativ bekannt, das sie mittlerweile auch Bücher geschrieben haben und gerne gehörte Speaker sind. Es gibt aber viele kleine Hotels, auch in Österreich, wo es ebenso funktioniert, die das aber für sich machen und keinen Medienrummel möchten.

Ghezzo: Wo sind die Grenzen der Selbstführung?

Gneist: Das hat Klaus Kobjoll finde ich sehr gut formuliert. Er schreibt in seinem Buch davon, dass er Kompetenzen in 6 Graden delegiert. Der 6. Grad ist: Sehen Sie sich die Sache an, Berichten Sie mir darüber alle Fakten. Ich werde dann entscheiden, was zu tun ist. Der 1. Grad ist: Handeln Sie. Ein weiterer Kontakt mit mir ist nicht erforderlich. Stufe 2: Handeln Sie Informieren Sie mich darüber, was sie unternommen haben. Dazwischen liegen die Abstufungen. Delegieren bedeutet nicht einfach Aufgaben abzugeben – es muss auch die Verantwortung dazu delegiert werden. Bei Klaus Kobjoll sind 10 % der Entscheidungen Stufe 1 und 80 % in Stufe 2. Das heißt im Umkehrschluss, dass bei er nur 10 % der Entscheidungen ein Veto-Recht hat. Dieses Beispiel zeigt gut, dass Grenzen nur die eigenen Grenzen im Kopf sind.

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